11. Dezember 2019 – Frühschicht

Ich glaube der Auslöser war die Bekanntschaft mit ihren Eltern gewesen. Genauer mit ihrer Mutter, denn die erinnerte mich an Doris. Genau so eine Mutter brauchte es, wenn man sicher gehen wollte, dass man mit der richtigen Frau zusammen war. Oder eben, dass nicht, weil zwar die Mutter stimmte, aber deren Tochter nicht Nadine war. Ich hatte von da an mehr Augen für die Mutter, als für die Tochter, suchte und fand Gründe, die gegen Liebe sprachen, verglich sie unfairer Weise mit überhöhten Idealen, die nicht einmal Doris und Nadine selber hätten erreichen können. Alles, was mir blieb, war mich mit einem Tunnelblick auf die Abreise zu konzentrieren, und möglichst wenig mit ihrer Mutter zu tun zu haben, obwohl ich mich ja offensichtlich gut mit ihr verstand. Ich ließ mir von Marie die Umgebung zeigen, in der sie aufgewachsen war, aber es half alles nichts, Liebe wollte sich nicht einstellen, und jetzt konnte ich nicht mehr ohne.
Es hatte sich richtig angefühlt, wie wir uns kennengelernt hatten, aber jetzt, wo ich mir sicher war, dass sie sich in mich verliebt hatte, und ich diese Gefühle nicht erwiderte, wollte ich ihr nicht weh tun, nur weil vielleicht meinem Pimmel der Sinn danach stand. Ich wollte ihr freundschaftlich verbunden bleiben, aber auch daraus wurde nichts. Wir gingen auf verschiedenen Krankenhäusern in die Praxis, sahen uns immer seltener, und bald war sie mit einem anderen zusammen. Vergessen habe ich sie nie, und wo immer ich einen verwaisten Schlüsselbund in einem Schloss stecken sehe, denke ich an sie und lächle dabei. Ein so schönes erstes Mal als Serienstaffel wünsche ich jedem.
Danach brachen auch bei mir alle Dämme. Wer hätte auch gedacht, dass Sex tatsächlich Spaß macht? Als wäre ich getauft worden, oder was weiß ich, von da an klopften die Gelegenheit an meiner Tür. Wortwörtlich. Weil mich Manu wahrscheinlich durch die Tür hat heulen hören. Sie hat mich in den Arm genommen und ich habe alles heraus gelassen. Also an Tränen, weil sprechen konnte ich nicht darüber. Ich wusste gar nicht, was mit mir los war. Aber Manu redete mir gut zu, und dann sprudelte es irgendwann selber aus ihr heraus, der Ärger, den sie mit ihrem Freund hatte, und so heulten und hielten wir uns gegenseitig, die ganze Nacht.
Zwischen uns war sonst nichts passiert, aber meine empfindsame Seite sprach sich im Haus herum, und ich weiß nicht wieso, aber wenige Tage später lag mir schon die Nächste in den Armen und heulte sich bei mir aus. Es war ein gutes Gefühl helfen zu können. Bei Lina war es dann eher Neugier, glaube ich, denn ihre Geschichte war recht kurz, oder lag schon länger zurück, ich weiß es nicht mehr, aber wir lagen plötzlich knutschend aufeinander in meinem Bett, außerdem nackt und mehr zum Stöhnen tendierend als heulend. Im Schwesternwohnheim habe ich meinen Kummer ertränkt, über Nadja und Daniel, Marie, Doris und Anne Bancroft.

Oh, scheiße, ich sollte mich mal zurecht machen. Hieß sie jetzt Katrin oder Karin? Vielleicht stellt sie sich ja vor, denn als Erkennungszeichen soll ich ihre Mütze tragen. Dabei bin ich sicher, dass ihr Mama auch Fotos von mir gezeigt hat, wenn auch nur welche, auf denen ich jünger war, als Kerstin heute. Nein, Katharina? Irgendwas mit K – aber jetzt werfe ich mich besser mal in Schale.

© Jens Prausnitz 2022

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