28.01.20

Er hat mich nicht erkannt. Meine Haare waren ja auch ab. Und Brille trug ich auch keine mehr. Ganz zu Schweigen von 30 Jahren Altersunterschied, den man mir aber deutlich mehr ansah, als ihm. Damals im Lager war es dunkel gewesen, aber er war es, unverkennbar.
Auch seine Diagnose stimmte. Ich machte mir inzwischen so viele Sorgen um mich, dass mir das jetzt einfach zu viel wurde.
„Du bekommst hier einen Gips, und der Arm ist so schnell wieder heile, dass du schon diesen Sommer vergessen haben wirst, dass er gebrochen war.“
Doktor Heßler kam dazu, die beiden plauschten kurz, dann durfte sich das Kind eine Farbe für den Gips auswählen, die ich holen sollte, und erst als ich das Behandlungszimmer verlassen hatte, bekam ich wieder Luft.
Er war hagerer als damals, Wangen und Augen eingefallen. Ich konnte gar nicht anders, als das auf den Schock von damals zu beziehen, als er seine Tochter verlor, und nicht mit den Anforderungen, die der Beruf einem über die Jahrzehnte auf dem Leib schreibt. Ich bin jetzt wieder genauso nervös wie vorhin.

Als ich mit dem Gips zurück kam, war er fort und Heßler sah mich stirnrunzelnd an.
„Ich weiß, wir hatten es in letzter Zeit ziemlich mit Farben, aber unser Patient hat sich nicht schwarz gewünscht.“
„Grüüün!“, rief der Junge, dessen Laune sich deutlicher gebessert hatte, als meine eigene.
„Bin gleich wieder da“, sagte ich und drehte eine Ehrenrunde.
Was sollte ich mit der Erkenntnis anfangen? Vielleicht könnte ich einen Beweis anfertigen, dass es ihn wirklich gibt. Ein Foto mit dem Telefon, oder eine Tonaufzeichnung. Aber das kann mein Knochen nicht. Ich wollte ja selber unbedingt keins dieser neuen Telefone. Mit der Semmel ginge es allerdings. Aber nicht gerade unauffällig. Ob ich Schwester Erika um einen Gefallen bitte? Dann ist es keine Einbildung.
Zurück auf Station fragte ich sie. „Meintest du den Schotten?“
Ihr Gesicht hellte sich auf. „Ich hab’s doch gleich gesagt: James Bond!“
Das musste ich in diesem Fall gelten lassen. Aber Nadja will ich es trotzdem nicht erzählen müssen. Ob ich ihn mit der Tasse angelockt habe? Als hätte ich ihn beschworen. Tassen-Voodoo. Scheiße, hab ich mich grad erschreckt, aber es ist nur das Telefon das klingelt. Festnetz. Bei meinem Glück ist nach Daniel heute sie dran.

Schlimmer. Es war Sandra.
Ich kann das alles nicht mehr!
Zunächst habe ich mich ja gefreut, aber von der Freundlichkeit zu Weihnachten war nichts mehr übrig. Sie war enttäuscht von mir und ließ keinen Zweifel daran.
„Du musst wohl zu erwähnen vergessen haben, dass du der Pate von Daniel’s Zwillingen bist“, legte sie gleich los.
War das ein guter Zeitpunkt um darauf hinzuweisen, dass ich eigentlich sogar ihr Vater bin? Wahrscheinlich eher nicht, darum sagte ich nur: „Muss ich wohl. Tut mir leid.“

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