12.01.20

Merkwürdig erregt wachte ich auf, noch vor dem Wecke, dafür mit einer Nachtlatte, die eine Laterne hätte halten können. Laterne, Laterne, Wonne, Mond und Sperma – diesmal nicht.
Jetzt geht draußen langsam die Sonne auf, und ich will nicht wahrhaben, das Neil nicht mehr ist. Seine Musik, sein Einfluss, seine Worte werden bleiben, aber heute heitert mich das nicht auf.
Nach dem Frühstück ging ich in die Bibliothek. Um mich von Neil abzulenken wollte ich mehr über diesen Demjansk-Kessel herausfinden. Eine nette Bibliothekarin hat mir geholfen überhaupt was zu finden. Ich weiß nicht einmal, ob es ihr peinlicher war oder mir selbst, diese Suche nach Weltkriegsmaterial. Nein, es war eindeutig mir peinlicher. Wahrscheinlich weil sie die Kriegshandlungen eindeutig nicht mehr selbst erlebt hat, sondern höchstens so alt war, wie ich. Was hatte ich denn erwartet? Jemand aus dem Altersheim, der anstelle eines Rollators einen Bücherwagen vor sich her schiebt? Einen Orang- Utan? Aber der einzige, der sich hier gerade zum Affen machte, war ich. Und hübsch war sie auch noch. Wenn nicht sogar schön, aber ich wollte nicht länger hingucken, das wäre mir zu aufdringlich gewesen. Also konzentrierte ich mich krampfhaft auf die Bücher, die mich urplötzlich weniger interessierten, als ihr Nacken, der kurz aufblitzte, wenn sie ihre halblangen Haare zur anderen Schulter warf, und die wie ein Vorhang wieder zurück in die Mitte pendelten. Dann ließ sie mich allein an dem Regal stehen, und ich blätterte wahllos in ein paar Büchern herum wie ein Analphabet. Ich hatte gar nicht vorgehabt eins auszuleihen, aber das war jetzt der einzig denkbare Vorwand um noch einmal mit ihr sprechen zu können. Also nahm ich gleich das, was ich in der Hand hielt und ging damit an die Theke. Dabei hatte ich mir auf einem Zettel aufgeschrieben, was mir empfohlen worden war. Stattdessen schob ich ihr jetzt dieses zu, und sie war aufrichtig überrascht mich wieder zu sehen.
„Das ging aber schnell“, sagte sie mit einem frechen Lächeln, das mich vergessen ließ, weswegen ich da war.
„Was?“, hauchte ich beim Versuch zu flüstern.
„Vom 2. Weltkrieg in den Weltraum. Wie kommt’s?“
„Wie?“ Ich sah runter und hatte etwas über Wernher von Braun in der Hand. Mondsüchtig. Na großartig. „Ach, ich … ehrlich gesagt habe ich das schon gelesen.“ Was redete ich denn da für einen Unsinn?
„Manchmal lohnt es sich ja, Sachen mehrmals zu lesen“, entgegnetet die Bibliothekarin. „Man entdeckt immer neue Sachen.“
„Sie müssen wissen, ich interessiere mich nicht für den Krieg. Oder Krieg im Allgemeinen. Ich bin sogar gegen Krieg. Also wer ist das nicht, aber … was ich sagen wollte, ich habe verweigert und bin stattdessen ins Krankenhaus. Und da bin ich ja heute noch, wenn man …“
„Sie müssen sich nicht für Ihre Interessen rechtfertigen“, redete sie beschwichtigend auf mich ein. Meine Güte, sie ist wunderschön, schoß es mir durch den Kopf, und aus meinem Mund plumpste nur noch das Wort „schön“.
„Ihre Nummer?“
Wie aus der Pistole geschossen gab ich ihr meine Telefonnummer und sie verdrehte ihre Augen. „Von der Bibliothek? Ihr Mitgliedsausweis?“

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