14. Dezember 2019 – Frühschicht

Der Verlust von Valentin hat Daniel so hilflos gemacht, dass er ohne es zu ahnen Verhaltensmuster seines Vaters reproduzierte. Nicht mehr mit Nadja reden zu können gehörte ebenso dazu, wie sich in Arbeit zu flüchten. Das zu erkennen hat ihn glaube ich mehr erschreckt als alles andere. Sich abzuschotten ist nicht das Gleiche, wie zuhören. Eine Binsenweisheit, aber auch die in die Tat umzusetzen fällt schwer.
Stille war in Vilshofen etwas gewesen, dass er stets unter Anstrengung erzeugen musste, indem er sich auf die Zunge biß, und darin der seines Vaters nicht unähnlich gewesen. Dessen Stille war nur die Ruhe vor dem Sturm gewesen, nein eigentlich dessen Zentrum, und es galt sich rechtzeitig mit zu bewegen, oder er erwischte einen. Daniel hatte sich immer gewünscht seine Mutter würde ihren Vater verlassen, und ihn mitnehmen. Sich einfach aus dem Sturm nach oben heraus schleichen und aus der Ferne zusehen, wie er in sich zusammenfallen würde, wenn er auf Land traf. Aber damals hatte er wenigstens etwas zu sagen gehabt.
Jetzt hatte Daniel das Gefühl, längst alles ausgesprochen zu haben, und dass Nadja ihn mit Valentin verlassen hatte. Sie hatte irgendwie einen Draht zu ihm behalten, selbst nachdem die Nabelschnur durchtrennt worden war. Er wusste nicht, wie sie es machte, aber er spürte, dass es so war. Sie teilte das nicht mit ihm, und er fand einfach keinen eigenen Zugang zu seinem toten Kind. Er war wie sein Vater, von etwas ausgesperrt. Ohne die gewaltsamen Ausbrüche und alles, aber im Grunde doch sehr ähnlich. Viel zu ähnlich. Er spielte nur die Songs von anderen nach, oder seinen Schülern vor, aber wo blieb seine eigene Musik? Ihr Rhythmus, ihre Melodie? Alles war möglich, aber nichts kam zu ihm zurück, keine Reflektion, kein Ton, kein fernes Echo, nichts, so sehr er auch horchte. Die Vergangenheit suppte ihm in Wellen in die Gegenwart, und zog ihn zurück auf’s Meer wie eine Unterströmung. Hatte Lukas uns nicht immer damit aufgezogen, dass es solche im Eginger See gäbe?

Zeit verläuft überhaupt nicht linear. Sie verläuft nur überallhin, wie ausgekippte Flüssigkeit. Der größte Fleck ist da, wo das Glas zerbrach, und die Rinnsale nach außen werden immer dünner, folgen der Schwerkraft bis sie so vertrocknet sind wie wir. Sicher, man kann Wasser nachtröpfeln lassen, oder wie wäre es mit Regen? Wobei, regelmäßiger Niederschlag hilft einem da auch nicht weiter, der spült dann nur alles weg. Niedergeschlagenheit auch.
Wahrscheinlich sollte zunächst mal das Gefäß selber heile bleiben.

© Jens Prausnitz 2022

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