14. Dezember 2019 – Frühschicht

Von dem Schock haben sie sich nie richtig erholt, mehrfach stand ihre Beziehung vor dem Aus. Eine Weile haben sie sogar getrennt voneinander gelebt, aber auch das nicht lange ausgehalten. Am Ende fanden sie immer wieder zueinander. Sonst hatten sie ja niemanden, außer mir vielleicht. Lukas wäre auch immer für sie da gewesen, wenn sie ihn kontaktiert hätten, aber so weit dachten sie nicht mehr. Verdammt, allein seinetwegen sollten sie endlich reinen Tisch machen, nach allem, was er für sie getan hat, und einstecken musste. Er ist doch auch älter geworden, reifer, nur kein besserer Lügner.

Daniel suchte sich dann wieder einen festen Job, was er nach seinem Zivildienst irgendwie vermieden hatte. Er begann eine Ausbildung in dem Betrieb, der wenige Jahre später den Bundestag verkabeln sollte. Mit der Referenz im Rücken und seinem musikalischen Gehör gelang ihm danach ohne Probleme der Wechsel in die Studioszene als Tontechniker.
Der Bundestag hatte ihm dabei mehr über Mikrofonie beigebracht, als die Hansa Studios. Zunächst einmal kam es darauf an, dass sich alle hören konnten, und zwar überall gleich gut. Dass man sich auch von ganz hinten zu Wort melden konnte und einen trotzdem alle gleich gut hören würden. Darauf war er stolz, und es erfüllte ihn mit einer Genugtuung, die besten Voraussetzungen dafür geschaffen zu haben. Störungen aufzuspüren wurde seine Spezialität, mit einem Ohr für die Stille zwischen den Geräuschen, bei gleichzeitiger Abwesenheit von Hall und Echo.
Was ihn später trotzdem ärgerte war, dass auch dort, ähnlich wie zuvor in Bonn, einfach niemandem zugehört wurde. Es lag nicht allein daran, dass manche nichts zu sagen hatten, ein paar gute Rhetoriker waren ja immer noch darunter, aber meistens wurde das Plenum nicht anders genutzt, als eine Theaterbühne auch. Zugehört wurde eher in den Hinterzimmern, den Ausschüssen. Auch dort hatte er Mikrofone installiert. An denen lag es also nicht. Die immer gleichen, phrasenhaften Textbausteine waren für die Öffentlichkeit bestimmt, simulierten Gespräche ohne Einsicht. Das war schade um die guten Mikrofone, aber auch anderswo wurden damit ja schlechte Platten aufgenommen, also fand er sich damit ab.
Der Schlüssel zu einer guten Verdrahtung sei Stille, sagte Daniel. Stille sei mehr als die Abwesenheit von Geräuschen, Grundrauschen, Brummen, oder Spannungsschwankungen. Kabel und Transformatoren mussten abgeschirmt werden, und was er im Betrieb lernte, wiederholte er leider Zuhause mit sich und Nadja. Daniel machte ihre Beziehung Schalldicht, nur war da keine Melodie mehr, kein Rhythmus, kein Kling und kein Klang.
Für jemanden, der eigentlich Musik in sich trägt, war diese Überhöhung der Stille eine Katastrophe. Dort braucht es auch Pausen, ja, aber Daniel gab keinen Ton mehr von sich. Weder mit der Gitarre, noch mit dem Mund. Er war ganz Ohr, und hörte nichts mehr in sich. Ein Vakuum. Ein Aufnahmestudio, das auf Künstler wartete, niemand legte ihm Noten vor, die es einzustudieren galt, da war kein Dirigent, der den Taktstock schwang.

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