04. Dezember 2019 – frei

Begeistert davon eine neue Stelle suchen zu müssen war Mutter allerdings nicht. Außerdem noch eine Wohnung und den Umzug organisieren – auch wenn wir nicht viel hatten. Andererseits fühlte sie sich immer noch jung genug für einen Neuanfang, und auch ihr gingen die Blicke auf die Nerven, nur dass sie ihre besser wegsteckte, als ich meine. Jedenfalls war das mein Eindruck. Trotzdem würde es hart werden, aber alles war besser, als hier zu bleiben.
Altenpflegerinnen waren zum Glück immer und überall knapp, deswegen ging es wirklich überraschend flott. Sie nahm mich zu den Vorstellungsgesprächen mit, von denen ich mich mehr an die Zugfahrten erinnere, obwohl ich mir doch eigentlich die Städte ansehen sollte. Schon an jedem Bahnhof hielt ich Ausschau, ob ich nicht vielleicht irgendwo zufällig Daniel und Nadine in der Menge sehen würde, was natürlich nie geschah. Aber ich war ihnen wieder näher gewesen, draußen, in der großen weiten Welt. Ich war jedes Mal so aufgeregt und froh gewesen, endlich aus Vilshofen heraus zu kommen, und dabei war es mir vollkommen egal, wo es diesmal hingehen würde, Hauptsache wir legten noch viele weiter Kilometer zwischen uns und Vilshofen.
Meiner Mutter ging es in den Städten um Grünanlagen, wo man spazieren gehen konnte, war es laut in einem Viertel, hörte man Kinder spielen, gab es Geschäfte, Restaurants, Cafés, wie war die Verkehrsanbindung? Stattdessen blieb mein Blick aber an jedem größeren Parkplatz hängen, wie viele Zelte hätten dort wohl drauf gepasst? Überall projizierte ich das Vilshofener Lager als Schablone darüber, und jede Parkuhr drehte die Zeit zurück auf den September 1989, zu ihr, als ich sie zuletzt gesehen hatte.

Aachen also, mit seinem gähnend schönen Doppel-A, wie man es nur noch aus Aal und Aas kennt. Und die einzige Stadt, die keinen Hehl daraus macht, ein bisschen kacke zu sein. Das ist schon mutig. In Grenznähe zu leben hatte auf jeden Fall Vorteile, und da haben wir wahrlich einen guten Tausch hinbekommen: Schokolade, Fritten und Gras sind eine Kombination, die nicht so leicht zu überbieten ist, und die Aachener Printen treiben einem dem nur noch mehr in die Arme. Es fand dort auch niemand lustig, als ich vorschlug eine neue Zeitung dort die „Aachener Printe“ zu nennen. Mit dem Untertitel „brettharte Fakten“. Fremden gegenüber waren die Aachener auch aufgeschlossener gegenüber, als ich die Bayern erlebt habe. Arschlöcher hatte es natürlich auch dort, aber ich fühlte mich endlich nicht mehr so beobachtet und überwacht, wie in Vilshofen.
Nun also tief im Westen, tiefer, als es sich Herbert Grönemeyer ausmalen konnte. Tiefer im Westen geht eigentlich gar nicht, außer vielleicht im Kreis Heinsberg über uns. Aus dem tiefsten Südosten in des weitesten Westen, Deutschland, deine Ränder sind mir sympathisch. Durchlässige Grenzen, Osmose, hier atmet Europa, und den Menschen ist es anzumerken.

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