20.01.20

„Wie, soll das etwa heißen, du willst dich in der Schule verstecken, bis es Nacht wird?“ Daniel griff sich an den Kopf.
Lukas nickte.
„Aber dann könnten wir doch vorher einfach nach Hause gehen, wie alle anderen auch“, stellte ich fest.
„Es geht ums Prinzip. Da herin sucht uns nermand, sondern draußn.“
„Hier drinnen würde man uns doch auch finden“, widersprach Daniel, aber Lukas schüttelte den Kopf und grinste.
„Na, oa Versteck gibt’s, des is perfekt. Aba des verrat i ned amoi eich. Bis es so weit is.“
„Ach, du Holzkopf.“
„Der Kopf ned, aba beim Material liegst richtig“, entgegnete Lukas und grinste vielsagend.
Wir beließen es dabei. Weil danach erfolgte – jedenfalls in der Theorie – die Flucht in der Nacht. Und weil dann alle Türen zugesperrt sind, natürlich über das Dach. Von dort wollte er sich abseilen. Die Route war fast egal, aber am besten zu den Pausenhöfen hin, weil die unbeleuchtet waren, und man unbemerkt bleiben würde.
Es ging nicht allein um die Flucht aus der Schule, sondern aus dem Überwachungsbereich, unbeaufsichtigt zu sein, frei, und wenn es nur für Minuten war. Das Kollegcafé war ein schwacher Trost, und ich habe deswegen bis heute eine Abneigung gegen Backgammon, weil es mich an die dort abgesessenen Stunden erinnert. Zu viel Kaffee, zu viel Pasch, ohne je selbst rausgewürfelt zu werden.
Suchte ich im B-Bau so etwas wie innere Freiheit? War es das, was auch Lukas damals antrieb? Wenn man den ganzen Tag an Flucht denkt, dann nimmt man alles um sich herum mit anderen Augen wahr: man achtet darauf in welche Richtung Türen aufgehen, wie Schlösser aufgebaut sind, welche Art Schlüssel wo passt, und wer Zugang zu allen hat. Könnte man sich durch ein gekipptes Fenster zwängen, unbeobachtet bei Lehrern, die nach dem absperren nie noch die Klinke zum Test herunterdrücken den Türschnapper betätigen? Kein Wunder, dass Lukas im Kopf woanders war. Aber in Bewegung war sein Gedankenzug trotzdem. Ein Beobachter in einem anderen Tempo. Ob Einstein die Relativitätstheorie in einer langweiligen Schulstunde eingefallen ist?
Auch Daniel lenkte sich ab und drückte unter der Bank nicht Kaugummis fest, sondern hämmerte von unten Gitarrenriffs an die Tischplatte. Akkorde greifen übte er an seinem rechten Handgelenk. Das sah immer ein wenig so aus, als würde er seinen eigenen Puls mit dem Daumen fühlen, bis er die Finger auf der anderen Seite flüssig umpositionierte. Manchmal macht er das noch heute unbewusst, wenn er sich nicht gleich an die Akkordfolge von einem Song erinnert.

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