04. November 2019 – Nachtschicht

Mist. Hab diesmal beim Stationswechsel das Tablet auf der 3 liegen lassen, und in der Zwischenzeit vergessen, womit ich eigentlich weiterschreiben wollte. So ein Mist. Aber ich hätte ja schlecht nur deswegen nochmal rüber gehen können. Heute war nur die Ordensschwester da, und da wollte ich mich nicht versündigen? War eindeutig zu lange in Bayern. Der Respekt vor Pinguinen und Kreuzen sitzt tief.
Es war was mit… nee, fällt mir nicht ein. Kackmist. Goldhammer hatte jedenfalls kein Herz. Und wenn doch, dann wusste man nicht wofür es schlug. Nur wogegen. Zum Beispiel wenn man an einem Montag nicht zur Schule ging, weil noch eine Veranstaltung stattfand, um die freiwilligen Helfer zu ehren. Zu der wollte ich eigentlich gar nicht, die Erfahrung aus Bonn war mir eine Lehre gewesen. Aber erstens wollte ich das Gesicht von Goldhammer sehen, der mir eine Entschuldigung genehmigen musste, um ein paar Schulstunden fehlen zu dürfen, und zweites fand es diesmal drinnen statt. Also ging es nach Passau in die Nibelungenhalle zu Max Streibl. Zu einem Stehempfang. Schon wieder. Am Ende fühlten wir uns auf dem Trockenen genauso verarscht. Ein drittes Mal hatte ich jedenfalls nicht vor mich für meinen Einsatz ehren zu lassen.

Schwester Anita ist inzwischen wieder guter Laune und hat sich wiederholt für den Krimi bedankt, den sie während dieser Schicht ausgelesen habe. Hatte Mutter nicht gesagt, das ginge darin eher um Spionage und Liebe? Sie grinste zufrieden von Ohr zu Ohr, und ich glaube sie hätte mit mir gerne darüber geredet, aber ich bat sie nichts zu verraten, weil ich selbst noch nicht damit durch sei. Ehrlich gesagt noch nicht mal angefangen, aber das hätte ich ihr in dem Moment ja schlecht sagen können, oder?

Ah, richtig, Flucht, ich wollte noch was zu Talmüller und Flucht erzählen. Oder? Ich blick nicht mehr durch. In einer der nächsten Stunden korrigierte sich Talmüller, dass es damals sehr wohl auch Vertriebene gegeben habe. Zug um Zug seien sie noch aus der Tschechoslowakei gekommen, den ganzen Winter lang, erfrorene Kinder darunter und Elend wohin man auch sah. Er sei so wütend gewesen, das der Fokus immer auf dieser Opfersicht lag, als hätte man zuvor die Täter nicht machen lassen, oder ihnen sogar noch zugejubelt. Seine Familie sei gegangen, weil man sich um das nackte Leben fürchten musste, wenn man geblieben wäre.
Mir reicht ehrlich gesagt schon als Fluchtgrund aus eine verdammte Tasse Tee angeboten zu bekommen. Deswegen gehe ich jetzt erstmal nach Hause, und Anita hat freundlicherweise nichts dagegen, mich heute eine Viertelstunde vor der Übergabe gehen zu lassen. Dafür bin ich ihr doppelt dankbar, also ab nach Hause mit mir.

© Jens Prausnitz 2022

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