„Das glaub ich ni-icht“, machte Clara. „Und du?“
„Ich auch nicht“, bestätigte Dennis. „Er wird ganz rot um die Nase.“ „Ein Ständchen will er ihr spielen.“
„Haltet mal die Luft an, ihr Heißlüfter.“
„Uiuiui“, machten sie.
Mir blieb nur noch ein Themenwechsel als Ausweg. „Da fällt mir ein: Ist die Wiedervereinigung eigentlich in euren Geschichtsbüchern drin?“
„Was soll die Frage? Na klar.“
„Ja, gut, das überrascht mich jetzt nicht, ich mein eigentlich: gibt es ein danach? Weil bei uns damals hörte die Geschichte einfach mitten im Kalten Krieg auf, und damit noch vor unserer Geburt.“
„Du möchtest also eigentlich wissen, ob wir in unseren eigenen Geschichtsbüchern schon geboren worden sind?“
„Ja, so könnte man es ausdrücken.“
„Ich schau mal, Augenblick.“ Clara verschwand.
„Ein bisschen aufgekratzt ist sie ja heute schon, deine Schwester.“ Daniel nickte und verdrehte die Augen. Ich malte Buchstaben in die Luft vor der Webcam. M-A- und schon folgte sein bestätigendes Nicken. Da entwickelte sich die Mario Geschichte offenbar weiter.
Clara tauchte wieder auf.
„Und?“
„Nicht wirklich. Einführung des Euro, Osterweiterung der EU, 9-11 und die Rolle von Terrorismus in einer multipolaren Welt.“ „Multipolar?“
„Nicht mehr wie im kalten Krieg, Nato gegen Warschauer Pakt, sondern mehr Player gegeneinander, auch noch China, EU und so.“ „Ah, ok. Auch was zu Umweltthemen, Ungleichheit, arm und reich -“
„Nein, nur Kriege: Syrien, Afghanistan…“
„Als würde sich Geschichte nur um Kriege drehen. Findet ihr euch darin wieder?“
„Natürlich nicht.“
„Ich meine, selbst wenn man den Kultusministerien einräumen würde, dass sie 10 Jahre hinterher hinken dürfen, schaffen sie nicht einmal das abzubilden. Wenn der Geschichtsunterricht wenigstens zum Schulabschluss bei der eigenen Einschulung ankäme…“
„Vom ‘Club of Rome’ haben wir in Geschichte nichts gelernt, aber bei Fridays For Future.“
„Das war halt kein Krieg“, seufzte ich. „Nur eine Warnung an alle.“
„Es hat aber einen ausgelöst, einen der Desinformation: Konzerne, die eigene Studien in Auftrag geben. Reiche, die – -“
„Noch reicher werden“, grätschte ich dazwischen. „Ich muss gleich zur Arbeit. Muss Geld verdienen indem ich wildfremden Menschen helfe.“
„Gelebter Kapitalismus im Sozialismus?“, fragte Dennis.
Ich schüttelte den Kopf. „Das klingt zu sehr nach der Gehaltserhöhung, die wir nie kriegen. An der Gesundheit von Leuten kannst du leider nicht so viel verdienen, wie an ihrem Leid. Die Kohle fließt woanders hin, während wir uns um die Leidenden kümmern.“
„Bist du sicher, dass das der richtige Beruf für dich ist?“ „Meistens ja.“
Dabei ließen wir es bewenden.