13. Oktober 2019 – Nachtschicht

Der Bahnsteig war zu Ende und Daniel, der kein bisschen abbremste sprang auf das Gleis, und ruft halb erstickt weiter nach Nadine. Er läuft dem Zug hinterher, dessen Tempo er schon nicht mehr halten kann. „Nadiiiiin!“
Verdammte Scheiße, ich bin jetzt echt zu spät zur Arbeit gekommen. Und zu essen vergessen hab ich auch. Jetzt sitze ich auf Station und mir knurrt der Magen. Schwester Anita war sauer, aber als ich dann meinte, dass wir uns Pizza bestellen, war es wieder gut. Sie zeigte sich überraschend verständnisvoll dafür, dass ich über das Schreiben vergessen hatte zur Arbeit zu kommen. Sie hat nicht mal gefragt, was ich da schreibe, und das muss sie viel gekostet haben, mehr als mich die Pizza. Aber zurück zum Bahngleis.
Lukas stand dort fassungslos und sah seinem Freund hinterher, der da schon auf der Bahnüberführung zu lief, hob geistesabwesend den Fingerhut von Nadine auf, steckte ihn ein und dann verschwand Daniel auch schon aus seinem Sichtfeld. „Scheiße“, japste er. „Scho wieda laffa.“

Er lief an der Kneipe vorbei zur Treppe, in der Hoffnung Daniel nicht aus den Augen zu verlieren. Ich weiß wie sehr Lukas laufen hasst, aber hier muss er die Beine in die Hand genommen haben, denn er will ihn noch auf der anderen Seite der Brücke gesehen haben, wo Daniel oben weiterlief, während er sich selbst unten durch den hupenden Verkehr kämpfte, um dann am Kindergarten und Kino vorbei runter zur Vils zu laufen, wo es totenstill gewesen sein soll. Wahrscheinlich war ihm da schon die Puste ausgegangen, aber er beharrte darauf, dass es ihm kalt den Rücken runter lief, wie er so dort stand.
Die Torbögen der Eisenbahnbrücke müssten sein Keuchen mit einem Echo zurückgeworfen haben. Als er sich dann dort auf den Boden sacken ließ, machte es ein feuchtes Geräusch, dass er davon erschrak. Es dauerte eine Weile bis er begriff, dass es nicht von seinem Hosenboden kam, sondern weil etwas in die Vils gesprungen war. Daniel, um genau zu sein. Der Wahnsinnige war von der verdammten Vilsbrücke gesprungen. Zwanzig Meter oder wer weiß wie hoch. Viel zu hoch halt um zu springen, aber Daniel hat’s gemacht. Platsch!

Lukas half dem Häufchen Elend, in das sich sein Freund verwandelt hatte an Land, wo er sich erbärmlich schluchzend zu einer Kugel einrollte und heulte wie noch nie in seinem Leben.

„I woa mia sicher, dos er dähüdriert, Johann.“ Deswegen brachte er ihn danach auch zum Geistler, als sich Daniel in seinen Klamotten wieder trocken geweint hatte, und Lukas wich die ganze Zeit keinen Millimeter von seiner Seite, die gute Seele.

Zum Geistler gingen sie nicht über die Hauptstrasse, sondern von den Tennisplätzen her. Das er da war, sah man an seinem Mercedes, der wie üblich vor der Garage stand, die für diese Angeberkarre zu klein war. Geistler bestritt aber vehement, dass er sich da verrechnet habe, und wir zogen ihn ja kaum damit auf. Als die beiden dort vorbei liefen pfiff er sie aus der offenen Garage zu sich. Wie oft wir dort nach Geschäftsschluss schon einen Kasten Bier geliehen haben, den wir dann nur wieder voll zurück bringen mussten, weiß ich nicht mehr. Das Privileg hatten wir von Lukas’ Bruder Markus geerbt.
„Hot der Johannes eppa’n Matthäus gdauft?“, fragte er und fügte ein „es depperte Apostel“ mit an. Als er dann sah in welchem Zustand Daniel war, holte er ihm erstmal eine Schnaps von der Theke und ein Küchentuch zum Abtrocknen, das aber selber tropfnass war.

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