13. Oktober 2019 – Nachtschicht

„Ich will nicht von hier weg, Papa!“, rief Nadine.
„Das ist nicht deine Entscheidung, Liebes.“
„Ich kann für sie sorgen!“, rief Daniel. „Ich kann sofort anfangen zu arbeiten, wo ich im Sommer war, wirklich. Ich habe ein Empfehlungsschreiben, das kann ich Ihnen – -“
„Nadine kann für sich selber sorgen“, unterbrach Herr Rothe ruhig. „Wenn sie alt genug ist. Sie kann studieren und lernen was sie will, und alles werden was sie will.“
„Warum später?“ Daniel blieb unbeeindruckt. „Das kann sie auch jetzt schon.“
„Wieso fragt mich hier keiner was ich will?!“, schrie Nadine in die Runde. Ich stelle mir vor, dass es eine kurze Pause gab, in der sie beide Nadine überrascht anguckten, als sähen sie sie zum ersten Mal, aber das ist wahrscheinlich schon Wunschdenken, und es ging nahtlos weiter. Vielleicht hat ihr wenigstens Doris kurz die Hand auf die Schulter gelegt, aber die stand dafür ja zu weit weg, oder sie haben einander angesehen, einvernehmlich, weil ich es mir nicht anders vorstellen mag. An der Frage sind schon andere Männer gescheitert, mich eingeschlossen, und wir werden es auch weiterhin tun, bewusst oder unbewusst, bei Nadine, Iris, Sabine oder Marie.
„Du bist entführt worden“, sagte Rothe wie zu einem Kleinkind.
„Bin ich nicht, Papa – das war ja meine Idee! Meinetwegen haben die beiden die Schule geschwänzt, und ich hab… auf sie gewartet. Die letzten zwei Tage hätte ich ohne sie nicht überstanden. Weil du nicht da warst!“
„Darüber reden wir, wenn wir im Zug sind.“
Der Bahnhofslautsprecher knackte und kündigte die Einfahrt des nächsten Zuges an, ich hab vergessen wohin, Lukas würde es noch wissen. Ich erinnere mich nur, dass Nadine später erzählt hat, dass sie in Würzburg umgestiegen seien, und unterwegs dorthin kein Wort gesprochen wurde.
„Keine Anzeige also“, sagte der Polizist zufrieden und klopfte sich auf die Brusttasche mit dem Notizblock. Doch niemand schien ihn weiter zu beachten, drum drehte er sich um und ging zu seinem im Auto wartenden Kollegen. „Dann machen wir uns… es ist ja soweit alles wieder in… also wir werden dann mal… wiedersehen.“
„Komm jetzt“, sagte Rothe und machte einen Schritt auf die beiden zu. Daniel versuchte sich größer zu machen, und Nadine umarmte ihn von hinten.
„Ähem!“ Hustete der Polizist, der in Begriff war in den Wagen einzusteigen und schüttelte mit mahnend erhobenen Kinn den Kopf. „Auseinander jetzt, zefix noamoi.“
Als Daniel sich doch zur Seite drücken ließ, rannte Nadine an beiden vorbei zu ihrer Mutter. „Warum sagst du denn nichts? Wieso können wir nicht einfach hier bleiben?“
„Wir können doch in den Ferien wieder her kommen. Mach keine große Sache daraus“, soll Doris angeblich gesagt haben. Ob sie ihrer Tochter nicht angesehen haben will, wie ernst es ihr war? Dass sie sich verliebt hatte und damit für rationale Argumente nicht mehr zugänglich war? Vielleicht hat auch genau das sie so erschreckt.

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