13. Oktober 2019 – Nachtschicht

Rothe ging zu ihnen, nahm einen Koffer in jede Hand und trieb seine Familie damit vor sich her Richtung Gleis, während Daniel einen Schritt dahinter lief. „Warum denn jetzt diese Eile? Ist das überhaupt der richtige Zug? Nehmt doch den nächsten, wieso alles überstürzen?“
„Wie eure Hochzeit, meinst du?“, fragte Rothe verächtlich über die Schulter. „Euch täte eine Abkühlung ganz gut.“
Der Schaffner rief zum Einsteigen auf.
Daniel wandte sich dann wohl an Doris. „Sie haben mich doch schon erlebt, würden sie mich denn mit Nadine zusammenziehen lassen? Ich werde alles für sie tun, immer.“ Und das hat er. Er hat es nicht nur in dem Moment so gemeint, wie er es gesagt hat, sondern Wort gehalten. Das konnte damals nur niemand wissen. Ich war nicht dabei, aber ich würde es ihnen so gerne heute aus der Zukunft zurufen, aber selbst darauf hätte niemand gehört. Ob ich selber eine Veränderung in Daniels Stimme wahrgenommen hätte, wäre ich dabei gewesen? Wer weiß. In diesen zweieinhalb Tagen haben wir uns alle verändert, sind unmerklich gealtert, reifer geworden, freier, erwachsen. Wenn das doch nur die damaligen Erwachsenen nur ansatzweise gespürt hätten, so vieles wäre anders gekommen.
Daniel wiederholte es noch einmal, verzweifelter: „Für immer!“
Doris schüttelte den Kopf, Nadine riß sich los und lief jetzt zu Daniel, stellte sich Rücken an Rücken zu ihm, so dass sie weitere Angriffe abwehren konnten, und verschränkten dabei die Finger ihrer Hände ineinander.
„Wieso hast du sie nicht festgehalten“, schnaubte Rothe, der die beiden Koffer in die offene Tür wuchtete.
„Wieso soll ich immer alles ausbügeln, was du verbockst?“ Das klang endlich mehr nach der Doris, die ich kennengelernt hatte.
„Steig ein!“, schrie Anton Nadine an, die den Kopf schüttelte.
Als Rothe einen Schritt auf sie zu machte, rotierte Daniel sich in ihrer Verschränkung einfach zwischen sie, so dass er selbst vor ihm stand, und nicht mehr seine Tochter. Rothe holte aus und Daniel versuchte noch ungläubig sein Gewicht so zu verlagern, dass er den Schlag abfangen könnte, aber da war es schon passiert. Lukas war sich nicht sicher ob ein Zug gepfiffen hatte, oder ob das Doris gewesen war, die schrie, auf jeden Fall ging Daniel zu Boden und alle Geräusche waren nur noch wie durch Watte.
Nadine, die mit ins Taumeln gekommen war, und nicht gleich begriff oder begreifen wollte, was geschehen war, wurde von ihrem Vater aufgefangen, und dann mit beiden Armen hochgehoben, und dabei muss ihr wohl der Ring vom Finger geflogen sein. Sie biss ihrem Vater in die Hand, aber der ließ nicht locker, sondern trug sie so zum Zug. Sie trommelte mit ihren Fäusten auf ihn ein, aber es half nichts.
Lukas rannte zu Daniel, der zu allem Überdruss auch noch unglücklich gestürzt war.
Der Schaffner blies in seine Trillerpfeife und übertönte damit was Doris schrie, die mit einstieg, als Rothe Nadine an ihr vorbei trug.
Daniel rappelte sich auf ehe Lukas bei ihm war, die rechte Hand aufgeschürft, mit der er den Sturz abgefangen hatte. Er spuckte Blut auf den Boden und lief zum Zug, doch jetzt stand der Schaffner dort in der Tür, und der Zug fuhr bereits an. Wie im Film lief Daniel nebenher und schrie: „Nein! Neinneinnein!“

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