Und dann stand schon Doris vor mir. Sie war so aufgelöst, dass mir der Schreck darüber wohl ins Gesicht geschrieben stand. „Was ist denn los?“ fragte ich ernsthaft besorgt.
„Hast du Nadine gesehen?“
Schon saß ich in der Tinte. Keine Verschnaufspause. Was jetzt? Was jetzt? Was jetzt?
„Ja, klar“, sagte ich. Oh ich Idiot, und weiter?
„Und wo?“ Doris’ Stimme war viel zu leise für sie.
„Auf der Straße hinter dem Gemeindehaus. Sie kommt gleich wieder.“ Ui, das war gut. Ich war stolz auf mich.
Doris runzelte die Stirn. „Was wollte sie denn da?“
„Oh, sie geht nur kurz zum Gymnasium, sich verabschieden. Stimmt was nicht?“ – Ahhh, ich Esel! Das klappt nie.
„Bist du dir sicher?“
Uff, nochmal davon gekommen. „Ja, klar, wieso?“
„Wir müssen zum Bahnhof, der Zug geht in weniger als einer Stunde.“
„Das schafft ihr noch locker“, beruhigte ich sie. „Zu Fuss seid ihr dort von hier aus schneller, als wenn ihr ein Auto oder Taxi nehmen würdet. Fünf Minuten. Höchstens.“
Doris grinste. „Das hat dein Kollege Armin auch erzählt.“
Ich lächelte ein bisschen zu angestrengt und versuchte auszurechnen, wie viele Minuten ich den anderen gerade erkauft hatte.
Beim Gymnasium spielte sich währenddessen ein anderes Drama ab. Nadine war leise fluchend dort angekommen, weil sie unterwegs die Schulglocke schon zwei Mal hatte klingeln hören. Was sie nicht ahnen konnte war, dass Lukas natürlich wie üblich verschlafen hatte, und sie ohnehin auf ihn warten musste. Als sie zum Parkplatz guckte, schimpfte sie gleich wieder, denn was ich vergessen hatte war, dass dort heute der kleine Bauernmarkt stattfand, der ja wegen des Flüchtlingslagers dorthin ausgewichen war. Die ersten packten dort zwar bereits ihre Sachen, aber trotzdem war dort noch viel zu viel los. Und jetzt? Sie könnte Lukas ja entgegen gehen. Aber verdammt, von welcher Seite würde er denn kommen?
Dann hörte sie das unverkennbare Geräusch eines sich nähernden Trabis. Wie viele würden wohl diese Straße nehmen? Sie kam aus ihrem Versteck und sprang auf die Straße um Lukas abzufangen. Nadine kollidierte beinahe mit Lukas, der jetzt schlagartig wach war und abbremste, ihr die Tür öffnete und kaum dass sie saß mit ihr am Markt vorbei knatterte. Lukas bog gleich nach dem Parkplatz links in den Stifterweg ein, schaltete den Motor ab und ließ Monika im Leerlauf ausrollen. Vom Schulgelände trennte sie hier ein dichtes Gebüsch. Lukas war sehr nervös, und erst recht nachdem Nadine ihm erklärt hatte, was sie dort machte. Sie und Daniel müssten zusammen abhauen.
„Wohi denn?“
„Egal, Hauptsache weg.“