05. September 2019

Unsere Band lag auf Eis, obwohl uns ein paar zusätzliche Proben mehr als gut getan hätten. Wir waren ein Power-Trio, und gleichzeitig beste Freunde. Wie Rush. Nur hatten wir keinen Namen, weil wir uns auf keinen einigen konnten. Auch auf sonst nicht viel, was die Band betraf. Lukas kam immer mit klischeehaften Vorschlägen an, Witchass war sein ewiger Favorit, weil es gleichermaßen an die Umrisse von Bayern erinnerte, wie bewies, dass Vilshofen dort den Arsch des Landes markierte, den Hexen-Hintern eben. „Heute der Arsch des Landes, morgen der der ganzen Welt“, wie Lukas zu sagen pflegte – wenn auch auf Bayrisch. Am glücklichsten war er, wenn wir Coverversionen spielten, da konnten wir wenig verkehrt machen. Daniel wollte hingegen intellektueller sein, und nur Eigenkompositionen spielen, die sich nach dem zwölften Break und Zwischenspiel keiner mehr merken konnte. Die beiden kriegten sich deswegen ständig in die Wolle. Mir fiel dabei die Rolle des vermittelnden Zuhörers zu. Ich war schon immer ein guter Zuhörer gewesen. Vielleicht bin ich auch deswegen Schlagzeuger geworden, denn beide spielten in ihrem eigenen Rhythmus weiter, Lukas im Viervierteltakt, und Daniel, der alte Romantiker, der sich das nie eingestehen wollte, tendierte zum Dreivierteltakt, auch wenn er ihn als angeblichen 6/8 Takt zu verschleiern versuchte.

Walze wäre ein echt guter Name für uns gewesen, aber der ist mir damals leider nicht eingefallen. Mist. Denn wenn auch sonst nichts, so machte immerhin unser Sound alles platt: wir waren zu laut. Und deswegen auch ständig neben dem Beat. Mir blieb nichts anderes übrig, als Polyrhythmen zu lernen, um so die beiden Streithähne unter einen Hut zu kriegen, indem ich eine Ebene tiefer nach einem verbindenden Rhythmus suchte. Den fand ich in einem Siebenachteltakt. Das klang gleich komplizierter, und stellte beide zufrieden. Wenn man jung ist, dann vereint einen eben nicht der kleinste gemeinsame Nenner, sondern der am kompliziertesten für uneingeweihte Ohren klingende. Wenn ich auch nur mal was simpleres vorschlug, nannten sie mich gleich eine Woche lang Roland.

Mit Worten war ich leider nicht so gut, wenn man sie auch aussprechen musste. Aufschreiben war etwas anderes. Außerdem hoffte ich darauf, einmal wie Neil Peart bei Rush Songtexte zu schreiben, die dann Geddy Lee singen würde. Oder halt einer von uns. Wenn man so laut spielt, das keiner mehr das eigene Wort versteht, kann man dahinter ja wunderbar schweigen. Heimlich begann ich mir Notizen für Songtexte zu machen, nur für mich allein, denn zusammen scheiterten wir ja schon wie gesagt am Bandnamen. In aller Stille hatte ich ein Ventil gefunden, auf dem Papier eines Notizblocks, da hörte ich mir selber zu und umkreiste meine Gedanken, umzingelte sie. Fertig wurde ich allerdings mit keinem, das ersparte uns immerhin Diskussionen darüber.

Wenn mir die zwei im Streiten wieder zu laut wurden, übertönte ich sie mit einem Trommelwirbel auf der Snare, dass beide erschraken. „Spinnst jetzad?“, rief Lukas, und Daniel sah mich vorwurfsvoll an.

Bevor ich etwas hätte sagen müssen, riss ich die Arme über den Kopf, hieb die Schlagzeugstöcke dreimal aneinander, und ging auf die Eins im Riff von YYZ über – nicht das Instrumental von Rush, sondern unsere davon inspirierte Eigenkomposition, die natürlich genauso wenig einen eigenen Titel hatte, wie unsere Band. Das funktionierte jedes Mal.

Lukas prügelte seinen Bass, Daniel schredderte seine Gitarre, und beides verschob sich gegeneinander, drei gegen zwei. Rhythmus hält eben alles zusammen. Ich bin Kitt. Schlagzeug-Kid. Getrommelt, nicht gerührt.

In solchen Momenten fühlte ich mich ein bisschen wie Neil Peart. Immerhin haben wir das mit der Freundschaft bislang so gut hinbekommen wie Neil, Alex und Geddy. Man kann sich auch verstehen, ohne viel zu reden, und eine Band zeichnet eben mehr aus, als nur Musik zu machen. Bei uns konnte man das Musik machen sogar weg lassen, aber nicht die Musik. Eine richtige Band hält zusammen und bleibt zusammen. Wenn einer fehlt oder stirbt, ist es einfach nicht mehr das selbe, wie bei Led Zeppelin, als John Bonham starb, oder Keith Moon The Who im Dunkeln stehen ließ.

Gut, dass sind jetzt nicht die besten Beispiele, immerhin leben wir alle drei ja noch. Aber so weit getrennt voneinander, dass an gemeinsames Musik machen nicht mehr zu denken ist.

Auch als Freunde wendeten sich die beiden an mich, wenn sie mal nicht weiter wussten. Was im Prinzip dauernd der Fall war, denn auch wenn man noch so kurz vor der Volljährigkeit stand, waren wir innerlich die reinsten Kindsköpfe geblieben. Mir merkte man das nur am wenigsten an, weil ich nie etwas sagte. Was wir aneinander hatten, begannen wir da gerade mal zu erahnen, und waren schon fast in Begriff gewesen es wieder zu verlieren. Erst Nadine hat es dann noch einmal richtig zum Leuchten gebracht, das Beste in uns. So ähnlich wie das Flüchtlingslager aus der ganzen Stadt, nur deutlich länger.

Mist. Es ist so lange gut gegangen, und jetzt denke ich doch wieder an Nadine. Das hat mir gerade noch gefehlt. Und müde bin ich auch nicht geworden. Dann schau ich halt doch den Film von gestern fertig.

Ob ich wohl besser was mit Schwester Birgit anfangen sollte?

© Jens Prausnitz 2022

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