05. September 2019

Uns hatte das alles damals auch nicht interessiert. Wir hatten nur Augen für Nadine. Und jetzt heißt sie schon seit 30 Jahren Nadja, aber ich sehe immer noch Nadine vor mir, als wär’s gestern gewesen. Meine Güte, ich muss so aufpassen. Nadine platzte jedenfalls in unser Leben und wirbelte alles durcheinander. Sie war ein frischer Wind und so anders als unsere Mädchen, die gerade brav in der Schule saßen. Nein, sie wusch sich unter freiem Himmel, über eine Schüssel gebeugt ihre langen schwarzen Haare. Nur im BH, und sie winkte lächelnd den Abiturienten zu, die auf dem Weg zum Geistler gaffend stehengeblieben waren, weil sie ihren Augen nicht trauten. Sie rechneten wohl damit, dass sie gleich kreischen, und mit dem Finger auf sie zeigen würde, stattdessen lächelte sie ihnen zu und winkte. Sie winkte! Mit der Hand! Und dem ganzen Arm! Dann wusch sie sich einfach weiter, als sei nichts geschehen. So etwas kannten wir nur aus der Fernsehwerbung, wo Frauen in der Südsee draußen ihre Haare wuschen und anschließend in Zeitlupe über die Schulter warfen. Die waren aber abgesehen von der Kamera immer allein. Und da mochte das sicher so in Ordnung sein, aber doch nicht bei uns, vor der Haustür.

Das hier hatte etwas Unverschämtes, Nadine war wie man sich fahrendes Volk vorstellte, und nicht mal bei dem Zirkus, bei dem ich und Daniel mal ausgeholfen hatten, sind wir Zeugen solcher Szenen geworden. Ich stand ja genauso glotzend da, nur aus dem Lager heraus, hatte vergessen wohin ich unterwegs war und wie vom Blitz getroffen stehen geblieben. Nadine hatte nicht nur ihre Haare gewaschen, sondern mein Gedächtnis gleich mit. Gelöscht. Alles war weg, als wäre das Licht nach einem Stromausfall wieder angegangen, und ich sah alles um mich herum wie zum ersten Mal. Eine neue Zeitrechnung hatte begonnen, meine innere Uhr blinkte, und ich blinzelte in die Sonne. Der Moment teilte die Zeit scharf in ein Vorher und ein Nachher.

An dem Tag sind wir uns alle zum ersten Mal begegnet, ich, Daniel, Lukas und Nadine. Nicht dort, wo sie sich die Haare wusch, sondern erst am Abend. Alle drei waren wir ihr vorher getrennt über den Weg gelaufen, und dann sah es fast wie abgesprochen aus. Oder sollte man sogar von Schicksal sprechen?

Die Folgen reichen jedenfalls bis heute, und so viel ist seitdem passiert, so verdammt viel. Vorher gefühlt überhaupt nichts, dann alles viel zu schnell. Die Welt geriet aus den Fugen, und wir konnte gut und gerne in den sich auftuenden Spalten hängen bleiben. Ha! Der Boden ist Lava… wir hatten aber keine Angst vor den Brüchen, ja nicht einmal ein Bewusstsein für die Risiken, wir sprangen einfach über die sich auftuenden Klüfte hinweg und tänzelten verspielt darum herum.

Das war alles aufregend, aber nichts so sehr wie Nadine. Alle drei haben wir uns in Nadine verliebt, und wer weiß wer noch alles. Psychologen werden sagen, dass das auch mit der Situation zu tun hatte, aber die haben eben in ihre Textbücher geguckt, und nicht in diese grünen Augen, die einen über jede Ampel brettern ließ, ohne wenigstens eine flüchtigen Blick in die Seitenstraßen zu werfen. Außerdem stand sie nicht zwischen uns, sondern sie hat uns noch enger zusammengeschweißt, bevor… ach ja.

Wir hatten den Sommer nicht wie sonst zusammen verbracht, sondern waren getrennte Wege gegangen. Lukas machte seinen Führerschein, Daniel jobbte, und ich war im Freibad rumgehangen und als mir das zu langweilig wurde, suchte das Rote Kreuz gerade Freiwillige.

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