22. Oktober 2019 – Nachtschicht

„Die Polizei, Johann“, schnaubte er. „Wenn sich herausstellt, dass sie keine Autorität haben, keine Argumente, dann schlagen sie zu oder rufen die Polizei.“
„Oder beides“, fügte Lukas hinzu.
„Und wenn sie zuschlagen, wo ist dann die Polizei?“ Daniel kam in Fahrt. „Dann schauen sie weg, dann sind ihnen plötzlich die Hände gebunden, dann brauchen sie auf einmal das Jugendamt, Zeugen und was auch immer. Sich nur ja keinen Papierkram aufhalsen. Nein, als Elternteil kannst du mit deinen Kindern machen, was du willst.“
„Nadine sollte hier ein besseres Leben haben“, warf ich ein.
„Und hat sie das? Als ich sie zuletzt gesehen habe, hat ihr der eigenen Vater den Mund zugehalten.“
„Des stimmt fei. Aba gfoin hot’s eam ned, des hob i gseng.“
„Oh doch, das gefällt ihnen. Das ist wie wenn mein Vater sagt, dass ihm die Schläge, die er mir verpasst, ihm mehr weh tun würden. Das ist gelogen.“
„Der Rothe ist doch nicht wie dein Vater – -“
„Und ob er das ist!“, schrie Daniel. „Nur weil er sich besser ausdrücken kann, und er nicht ganz so schnell die Beherrschung verliert? Weil er vorher auch noch mit Worten zuschlägt, was bei den meisten schon genügt? Wenn die nicht gleich bekommen, was sie wollen, dann greifen sie zur Gewalt. Isso.“
Ich wollte etwas darauf erwidern, aber erstens fiel mir nichts ein, und zweitens hatte er Recht. Inzwischen weiß ich das, damals suchte ich nach einem Argument um in Rothe keinen Speck sehen zu müssen.
„Red jetzt ja keinen Scheiß, Johann. Ich seh’s dir an. Mein verdammter Zahn wackelt, so hart hat der hingelangt.“
„Lass mal sehen“, unterbrach ihn der Sanitäter und ließ sich den Zahn zeigen. „Sieht nicht so schlimm aus, der fängt sich wieder ein. Kau die nächsten Tage vorsichtshalber auf der anderen Seite, ok?“
Daniel hörte nicht mehr richtig hin und flüsterte nur enttäuscht: „Sie sind alle gleich.“
Draußen vor dem Wagen hörten wir, wie eine Stimme in ein Reporter-Mikrofon berlinerte: „Mensch, wir sind doch ooch Deutsche! Ick glob’, det habt ihr völlich verjessen.“
Den Kopf schüttelnd sagte Daniel: „Ne. Aber uns. Wir sind hier die Vergessenen. Schon immer gewesen.“
„Oba mia hoitn zam“, ergänzte Lukas finster.
Wir überlegten dann, was zu tun sei, und es führte leider kein Weg daran vorbei, Daniel würde nach Hause gehen müssen. Vor Schlägen war er paradoxerweise ja sicher. Das es ausnahmsweise mal nicht die vom alten Speck waren, sah man ihnen ja nicht an. So viel Reflexion war dann schon da, als wären seine Schläge im Vergleich unsichtbar. Ob er wohl darüber nachdachte, wie amateurhaft Rothe im Vergleich zu ihm zugeschlagen hatte? Und der wollte Arzt sein?

Schreibe einen Kommentar

Schön, dass Sie kommentieren wollen, herzlich Willkommen! Vorher müssen Sie allerdings noch der Datenschutzerklärung zustimmen, sonst geht da nix. Danach speichert die Webseite Ihren Namen (muss gar nicht der sein, der in Ihrem Ausweis steht), Ihre E-Mail Adresse (egal ob echt oder erfunden), sowie Ihre IP-Adresse (egal ob echt oder verschleiert - ich hab keine Ahnung, ob Sie von Zuhause oder aus einem Internet-Café schreiben). Anders ist es mir nicht möglich zu gewährleisten, dass Sie hier kommentieren können, worüber ich mich sehr freue - denn es ist sehr frustrierend mit den mich sonst erreichenden, meist verwirrenden bis sinnfreien Werbebotschaften allein gelassen zu werden. Vielen Dank dafür, dass Sie da sind!

Noch ein kleiner Hinweis: Kommentieren Sie zum ersten Mal, erscheint Ihr Kommentar erst nach einer Prüfung des Inhalts, einzig um Spam von der Seite fern zu halten, in der Regel dauert das nicht länger als 24 Stunden - dabei handelt es sich nicht um Zensur, sondern um das limitierte Zeitfenster der berufstätigen Person hinter diesem Blog, die Ihnen den ganzen Krempel gratis zur Verfügung stellt. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit, und auf zur Checkbox.