Rügen – Herbst 2019

Nach dem Frühstück ging ich spazieren, nach rechts, Richtung Hafen. Also eigentlich viel zu kurz für etwas, das ein Spaziergang sein sollte. Dafür muss ich wohl eher in die andere Richtung gehen. Was mir schon gestern bei der Ankunft aufgefallen ist: das sieht hier auf den ersten Blick überhaupt nicht nach Deutschland aus. Irgendwie wirkt es südlicher, vielleicht wegen der Holzverkleidungen der Villen und Hotels und dem Meerblick an sich, sowie den verwinkelten, engen Gässchen mit Kopfsteinpflaster. Erst wenn man dann die Backsteinbauten dahinter und landeinwärts entdeckt, weiß man dann doch wieder, wo man ist. Aber auf eine angenehme Art. Andererseits war ich bei uns noch nie an der Küste, auch nicht an der Nordsee. Küste verbinde ich einfach mit Mittelmeer. Halt, stimmt das denn überhaupt? Ich war bisher nur in Kroatien am Meer, und das ist die Adria… oder ist das Kroatisch für Mittelmeer? Fließt doch eh um Italien und Griechenland rum, also… nun ja, Erdkunde war nie meine Stärke, und Architektur auch nicht, also wie auch immer: ich find’s hier im Norden sehr, äh südlich. Mehr braucht man über meine Geographiekenntnisse nicht wissen. Immerhin reicht es um ins Hotel zurück zu finden. Also das sehen wir dann noch.

Beim Schiffsausrüster gab’s Mützen. Aber eindeutig mehr Auswahl bei Messern, Seilen, Angelhaken und Gummistiefeln. Da behielt ich dann doch lieber die auf dem Kopf, die ich schon die ganze Zeit spazieren trug, Yoga-Tante hin oder her. Gab im Hafen auch tatsächlich diese Heilkreide zu kaufen, die Schwester Heide wollte. Hab ihr die mit echtem Unwohlsein im Bauch gekauft, mir vorher aber die Mütze tiefer in die Stirn gezogen. Wenn ich nach den Alpenveilchen noch mit Heilkreide in der Klinik auftauche und vielleicht noch das Rauchen aufgebe, weisen die mich direkt am ersten Arbeitstag auf eine Geschlossene ein. Und das zu recht.

Der Traum oder was das war hat wahrscheinlich mit den ASMR Videos zu tun. Habe ich da nicht erst neulich eins geguckt, wo jemand auf handgemachtem Papier geschrieben hat? Oder das andere, wo jemand seine Steuererklärung machte? Das war schon ein bisschen ähnlich.

Genug jetzt, ich schreibe um den heißen Brei rum, denn eigentlich denke ich die ganze Zeit an meinen Vater. Es hat keinen Zweck das länger aufzuschieben. Vermutlich deshalb, weil die erste Urlaubsreise, die ich jemals allein unternommen hatte, die zu ihm gewesen war. Eigentlich nicht zu ihm direkt, sondern um ihn überhaupt wieder zu sehen. Wovon ich Mama bis heute nichts erzählt habe, weil mir die ganze Aktion hinterher so peinlich gewesen war. Und Urlaub war es natürlich auch keiner.
Ich habe immer Angst gehabt, Mama könnte früher oder später etwas in mir sehen, das sie an ihn erinnert, und dass sie mich dann genauso verlassen würde, wie ihn.
Puh, jetzt ist es raus. So aufgeschrieben hat der Gedanken gleich weniger Macht über mich. Mama hätte mich nie verlassen, das wusste ich auch damals, aber das war halt auch immer ein Ansporn gewesen, auch ja immer ein „guter Junge“ zu sein, wie so’n Hund. Hauptsache anders, nicht wie mein Vater. Er wollte ja wieder zurück kommen, wie so viele Male zuvor an die ich mich nicht erinnere, aber sie hat ihn nicht mehr gelassen. Aber wie war er überhaupt so? Ich hab Mama so oft mit dieser Frage gelöchert, und sie hat immer ausweichend geantwortet. Wenn ich also gut war, das Gegenteil von meinem Vater, dann war er doch ein schlechter Mensch, nicht wahr? Aber wieso war sie dann überhaupt mit ihm zusammen gewesen? Das ergab alles keinen Sinn für meinen kindlichen Kopf. Und andererseits war das auch wieder nicht so ungewöhnlich, wenn man sich andere Eltern und Ehepaare ansah. Bei uns zu Hause wurde immerhin nie geschrien.

Schreibe einen Kommentar

Schön, dass Sie kommentieren wollen, herzlich Willkommen! Vorher müssen Sie allerdings noch der Datenschutzerklärung zustimmen, sonst geht da nix. Danach speichert die Webseite Ihren Namen (muss gar nicht der sein, der in Ihrem Ausweis steht), Ihre E-Mail Adresse (egal ob echt oder erfunden), sowie Ihre IP-Adresse (egal ob echt oder verschleiert - ich hab keine Ahnung, ob Sie von Zuhause oder aus einem Internet-Café schreiben). Anders ist es mir nicht möglich zu gewährleisten, dass Sie hier kommentieren können, worüber ich mich sehr freue - denn es ist sehr frustrierend mit den mich sonst erreichenden, meist verwirrenden bis sinnfreien Werbebotschaften allein gelassen zu werden. Vielen Dank dafür, dass Sie da sind!

Noch ein kleiner Hinweis: Kommentieren Sie zum ersten Mal, erscheint Ihr Kommentar erst nach einer Prüfung des Inhalts, einzig um Spam von der Seite fern zu halten, in der Regel dauert das nicht länger als 24 Stunden - dabei handelt es sich nicht um Zensur, sondern um das limitierte Zeitfenster der berufstätigen Person hinter diesem Blog, die Ihnen den ganzen Krempel gratis zur Verfügung stellt. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit, und auf zur Checkbox.