Rügen – Herbst 2019

Jedenfalls kramte sie nach dem Zwischenstop in Wolfsburg in ihrer Handtasche herum und zog dort ein Arzneifläschchen heraus. Als sie den Deckel abmachte, erkannte ich den Aplikator, und ich erwartete, dass sie sich jetzt Opium auf die Zunge träufeln würde, aber sie näherte die Pipette ihrem Hund, den sie mit der anderen Hand fester hielt. Die wollte doch nicht etwa den Hund unter Drogen setzen? Aber sie zielte gar nicht auf die Schnauze des Tiers ab, sondern auf dessen Augen. Oh mein Gott, wollte sie etwa Augentropfen verabreichen, während der Zug jeden Moment auf den Gleisen durchgeschüttelt werden konnte? Mir war es schon zum Tippen zu holprig, uns die wollte Tropfen abzählen? Dann erst fiel mir ihre Hand auf. Die war so zittrig, dass sie sich wie der Kopf einer gerade anlaufenden Nähmaschine bewegte. Damit hätte sie Löcher in einen Gürtel stanzen können, aber doch keine Augentropfen verabreichen! Jetzt verstand ich die Angst in den Augen des Hundes, und sah krampfhaft aus dem Fenster, in der Erwartung eines gequälten Aufheulens. Aber das blieb aus. Kein Winseln, nichts. Als ich ungläubig wieder hinsah, schraubte sie den Deckel bereits wieder auf die Flasche, und der Hund hatte noch beide Augen, aus denen mich jetzt zwei riesige Pupillen vorwurfsvoll fixierten. Als wollte er wissen, weshalb ich nicht eingegriffen hatte. Bei Kindern immer die richtigen Worte finden, aber wenn es um Tiere geht, es erst gar nicht versuchen? Toller Freund! Betreten wandte ich den Kopf ab, er hatte ja recht. Dann fragte ich mich, wann ich mich zuletzt so geborgen gefühlt hatte, wie dieses dumme Schoßhündchen. Wenn mir auf der Insel was zustoßen würde, wer kümmert sich dann um mich? Vermisst mich? Lässt nach mir suchen? Liege ich vielleicht schon morgen unter einem frischen Abbruch vom Kreidefelsen? Was das wohl für ein Geräusch macht, wenn niemand da ist, um es aufzuzeichnen? Und unter den Fingernägel war noch Kreide. Toller Titel für einen Johannes Mario Simmel Roman. Ha, noch ein Mario!

Obwohl ich schon im Zug gedöst habe, fallen mir jetzt die Augen zu, und es ist noch nicht mal Mitternacht. Aber zum Fuchsschal muss ich noch was aufschreiben, auch wenn’s gar keiner war. Ich erinnere mich daran mal wo mit einem gespielt zu haben, als ich ein Kind war. Fasziniert hat mich vor allem der Schließmechanismus, weil das meinem kleinen Fingern weh tat, wenn die Fuchszähne hinein bissen, obwohl der Unterkiefer so klein war. Es war so, als stecke noch Leben in ihm, so lange er auf etwas zubeißen konnte. Ich kann mich nicht mehr erinnern, was mit dem Fuchs passiert ist, aber ich kann ihn beinahe noch an meinen Fingern spüren.
Das Bett ist mir ehrlich gesagt zu groß, aber was will ich machen? Na ja, die Augen fallen mir heute auch ohne ASMR zu, ab in die Falle mit mir. Warum sollte ich jetzt nochmal aufs Licht aufpassen? Irgendwas war damit. Ob ich es ausgemacht habe wahrscheinlich. Knips!

Erster Tag

Oder doch schon der zweite Tag? Bin ja gestern angekommen. Zählen da nur ganze Tage, oder wie? Ach, egal jetzt.
Gestern war es schon schön am Meer. Saukalt, aber schön. Wegen der Brise. Bin extra nochmal zurück ins Appartement, um die Mütze von der Yoga-Frau zu holen. Ist mir zwar voll peinlich, aber es war ja dunkel. Hab vor mir heute eine zu kaufen, die mehr zu mir passt. Was immer das heißen soll. Apropos, „mer veille“ bedeutet wohl Meerblick. Hätte man drauf kommen können. Jetzt bei Tageslicht ist der Anblick sogar noch beeindruckender. Der Meerblick hat jetzt nämlich einen Horizont. Wenn man tief genug im Zimmer sitzt, ist es fast so als wäre man auf einem Schiff, nur ohne dass man dabei seekrank wird. Da bin ich ja ein Kandidat für. Mich kriegste ja schon kaum auf ein Tretboot. Vielleicht weil wir mal mit einem auf der Vils abgesoffen sind.

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