Rügen – Herbst 2019

Die Wellen brachen sich hypnotisierend am Strand, als würde Blätterteig übereinander gefaltet. Ich dachte daran, dass Nadine hier gebadet haben könnte. Das hatte Doris doch erzählt, oder nicht? Das war alles Ostsee hier, und ich weiß nicht wieso, aber ich zog mir spontan Schuhe und Socken aus. An der Luft ging’s, aber schon die feuchten Steine waren eiskalt. Und das Wasser erst! Alter Schwede, viel zu kalt, kalt, kalt, selbst für eine Kneipp Kur zu kalt. Nein, in so kaltem Wasser war sie sicher nie gewesen. Und nur ein Idiot wie ich kommt im November auf die Idee seine Füße da mal rein zu halten. Völlig überraschend kriegt man dann auch die Socken nicht so leicht wieder angezogen. Ich zog mir die Außenseite der Socken durch die Zehen, um sie zu trocknen, und irgendwie schaffte ich es mit den dann total verdreht sitzenden Dingern wieder in die Schuhe. Romantische Gefühle sind einfach nur scheiß ungesund.
Ob Nadja inzwischen mal wieder in der Ostsee baden gewesen war? Ich weiß es gar nicht, und sollte es überhaupt nicht wissen wollen. Warum kann ich beide nicht dort ihre Bahnen ziehen lassen, warum muss ich hier voller Sehnsucht am Ufer stehen und hinaus schauen? Für mich ist da draußen nichts, ich bin kein Seemann. Dem Meer kann ich genauso wenig abgewinnen, wie den Bergen. Ich bin eher so der Tal-Typ. Flach und langweilig. Deswegen sind die Nadjas und Nadines immer nur an mir vorbei gelaufen. Für das Meer war ich nie beständig und sanft genug, für Gebirge nicht angeberisch spitz genug. Ich tauge nur zum Pausen einlegen dazwischen.
Nicht Daniel hätte sich Talmüller taufen sollen, sondern ich. Ich war der im Tal, der Stabilität bietet, ohne hier Flut und Ebbe ausgesetzt zu sein, oder dort Lawine und Steinschlag. Im Tal kommen alle zusammen, irgendwann. Da, wo’s ein bisschen langweilig ist, man sich aber geborgen fühlt, wie ein Schoßhündchen. I wanna be your Schoßhündchen.

Was einen im Tal aber voll erwischt, ist die Einsamkeit. Dort kann man ihr nicht entfliehen. Sie wird nicht von der Strömung aufs Meer hinaus gerissen, so dass man am Strand seine Ruhe hat, und man kann nicht aus ihr heraus klettern und von den Gipfeln aus über sie hinweg sehen. Im Tal suppt sie herum, und bleibt an einem hängen wie der Geruch von einem alten, modrigen Haus.
Wenn ich nicht aktiv den Kontakt zu ihnen halten würde, würden sie mich doch alle vergessen. Außer Mutter natürlich. Aber wen tröstet das noch, wenn man Ende 40 ist? Ganz so ist es nicht, da ist jetzt auch eine Brise [!sic] Selbstmitleid dabei, wahrscheinlich vom Meer angeweht wie Gischt. Die Zwillinge, Daniel und Lukas rufen mich schon auch von sich aus an, aber ich tue es öfter. Und was ich mir wirklich wünsche ist, dass mich Nadja anruft, wie damals Nadine. Dieses Gefühl will ich zurück, so irrational es auch sein mag. Sie hat eben nicht nur wegen Daniel angerufen. Das ist mir erst mit den Jahren deutlicher geworden. Ich war zu langsam, habe es zu spät begriffen.

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