Rügen – Herbst 2019

Kann ich mich deswegen nicht an andere binden? Weil ich sie nicht loslassen kann? Oder ist es doch die Angst dann vielleicht mehr nach meinem Vater zu kommen? Denn was mich an der Begegnung so schockiert hat war, dass ich zu Beginn meiner Ausbildung selbst so gewesen bin. Lieber gar keine Beziehung, als so eine wie Nadja und Daniel?
Daniel hatte doch sogar noch mehr Angst gehabt so zu werden, wie sein Vater, als ich. Gerade in Stresssituationen ergriff Daniel gerne die Flucht, zog sich aus ihnen zurück, bevor etwas passieren konnte. Andere sahen das schon als Flucht an, obwohl er manchmal nur einen Schritt zurück tat. Aber Daniel sah darin eine Vorsichtsmaßnahme vor sich selbst. Dabei neigte er überhaupt nicht zu Jähzorn, wie sein Vater. Der entlud sich so schnell in Gewalt, wie ein Blitz. Und Daniel war für ihn leider der Blitzableiter. Geerdet. Und die Blitze hatten ihn nie umgeworfen. Man fühlte sich sicher in seiner Nähe, er war immer standhaft und zuverlässig. Zwar hegte er auch hin und wieder Gewaltphantasien seinem Vater gegenüber, ließ die aber symbolisch hinter sich, als er ihm vor seiner Flucht mit dem Spendenbrief einen Spiegel vorgehalten hatte.
Hätte ich Daniel nur ein Freund sein können, wie Birdy. Wie der Al’s Vater konfrontiert hat! Bei dieser Szene blieb mir immer die Luft weg, ohne zu zählen. „16 Mississippi!“ Aber selbst Birdy hatte einen Vater, noch dazu einen guten. Der schämte sich nicht für seinen Job, nicht für seinen Sohn, hatte immer ein offenes Ohr für ihn und setzte sich für ihn ein. So einen hätten wir beide gerne gehabt. Den könnte ich mir mal wieder ansehen. Hab ewig nicht daran gedacht.

An die Beziehung seines Vaters zu seiner Mutter dachte Daniel überhaupt nicht. Oder weniger. Darüber sprach er nicht, der physische Gewaltaspekt überlagerte alles. Vielleicht steckte er die Schläge auch ein um seine Mutter zu schützen? So habe ich das noch nie gesehen, aber es könnte sein, denn nachdem Daniel weg war, nur wenig später nachdem ich und Mama nach Aachen gezogen waren, verließ Daniel’s Mutter den alten Speck, und der saß dort fortan alleine.

Wobei, jetzt fällt mir ein, dass er auch einen gräßlichen Spruch für seinen Sohn gehabt hatte: „Mit Speck fängt man Mäuse.“ Wahrscheinlich hätten sich unsere beiden alten Herren sogar gut miteinander verstanden, wenn ihre Frauen nicht dabei gewesen wären. Hätten dann auch gleich miteinander durchbrennen sollen, und es wäre uns allen besser ergangen.
Vorher hat er sich einen Dreck gekümmert, und dann, als sein Sohn nicht wieder kam, gab ihm dessen Abwesenheit plötzlich einen Lebensinhalt. Nach außen. Weil, das machte man doch so, wenn man sein Kind lieben würde, oder? Also wurde die sinnlose Suche sein Lebensziel, einen abwesenden Sohn zu lieben ist einfach. Das überspielt alle vorherigen Versäumnisse, und die Übergriffe auf Lukas waren nicht mehr und nicht weniger als eine Inszenierung seines Schmerzes für die Nachbarn und alle, die es wissen sollten gewesen. Innerlich muss er aber gekocht haben. Dafür würde Daniel büßen. Allerdings müsste er ihn dazu erst mal finden, und daraus wurde nichts. Stattdessen nahm er die unvollendete Suche mit ins Grab. Nicht aus gebrochenem Herzen, wie es in der Todesanzeige hieß, sondern weil der angestauten Wut kein anderer Ausweg blieb, als sich am Ende gegen sich selbst zu richten.

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