27. Dezember 2019 – frei

Also ging ich an der verschwundenen Bahnhofskneipe vorbei die Treppe herunter zur Bahnunterführung. Meinen Koffer trug ich, weil die Rollen so obszön laut waren, dass ich fürchtete die halbe Stadt zu wecken, wenn ich ihn hinter mir her zog. Ich war wieder 16 und verunsichert wie eh und je. Ich erwartete förmlich einen Polizisten aus der Wache die Treppe herunter gestürzt zu kommen. „San sie wahnsinnig? Noch um die Uhrzeit ihren Rollkoffer zu betreiben? Zeigen sie mal ihren Führerschein. Wie, sie haben nur einen Fahrradführerschein? Außerdem ist der ja abgelaufen!“ Stattdessen kam aber schon Lukas von der anderen Seite auf mich zu.
„Mei, mia warn am koch’n, und da hob i an Alarm gstöid am Ofn. Da wurd’s immer früher, und i hob mir g’dacht hob ja eh no Zeit.“
Er sah so im Halbdunkel keinen Tag älter aus. Erst bei ihm Zuhause sah ich, dass die Haare dünner und vereinzelt grauer geworden waren, aber in den Augen war das gleiche Leuchten geblieben, hell und warm wie eh und je.
„Schon gut. Komm her, altes Haus!“ Wir umarmten und drückten uns lang und fest.
„Nehmt’s eich a Zimmer!“, rief jemand über die Straße.
„Nua wanst mit kimmst“, lachte Lukas zurück und ging in die Knie, nur um mich einen Moment später von den Füßen zu pflücken und auf dem Arm zu nehmen, als wollte er mich über eine Schwelle tragen.
„Kindsköpf.“
Lukas stellte mich wieder auf die Füße. „Du worst a scho amoi leichter.“
„Und du kräftiger.“
„Jo mai, aber fia den Koffer glangt’s allawai no.“ Er nahm mir den Koffer ab und bereute es sofort. „Was is denn da drin? Ziegelstoa?“
„Und sieben Geißlein.“
„Hast deine neunschwänzige Katze a mid?“
Ich nickte, obwohl der Störenfried längst außer Hörweite war. „Hier hat sich überhaupt nichts verändert.“
„Doch, und wie. Du bist nur blinder, als die Polizei erlaubt.“
„Ach ja? Dann können wir sie doch gleich mal fragen gehen.“
Lukas grinste. „So? Dann mach amoi. Nur zu.“
Ich drehte mich um und da wo immer das Schild der Polizeiwachen gewesen war, war nun… keins mehr. Da brannte auch kein Licht. „Ich könnte schwören, dass eben, als ich die Treppe herunter kam, die Polizeiwache noch da war.“
„Weil’s immer schon da woa?“ „Ja.“
„Du siehst Gespenster. Des werd i dir schon no austreim.“
„Ist das deine neueste Beschäftigung? Exorzismus? Men?“
„Na, nur ex. Mit ismen hab i’s ned so. Räucherwerk für moderne Exorzisten gibt’s übrigens glei da drüme.“ Er deutete geradeaus in eine Hecke, und ich erinnerte mich, dass dahinter mal ein Supermarkt gewesen war. Vielleicht meinte er aber auch die Hecke. Wir setzten uns in Bewegung. „Warum wolltest du eigentlich zu Fuaß gehn?“
„Um mir Vilshofen in Ruhe anzugucken. Und wegen der Kreisverkehre, vor denen du mich gewarnt hast.“

Schreibe einen Kommentar

Schön, dass Sie kommentieren wollen, herzlich Willkommen! Vorher müssen Sie allerdings noch der Datenschutzerklärung zustimmen, sonst geht da nix. Danach speichert die Webseite Ihren Namen (muss gar nicht der sein, der in Ihrem Ausweis steht), Ihre E-Mail Adresse (egal ob echt oder erfunden), sowie Ihre IP-Adresse (egal ob echt oder verschleiert - ich hab keine Ahnung, ob Sie von Zuhause oder aus einem Internet-Café schreiben). Anders ist es mir nicht möglich zu gewährleisten, dass Sie hier kommentieren können, worüber ich mich sehr freue - denn es ist sehr frustrierend mit den mich sonst erreichenden, meist verwirrenden bis sinnfreien Werbebotschaften allein gelassen zu werden. Vielen Dank dafür, dass Sie da sind!

Noch ein kleiner Hinweis: Kommentieren Sie zum ersten Mal, erscheint Ihr Kommentar erst nach einer Prüfung des Inhalts, einzig um Spam von der Seite fern zu halten, in der Regel dauert das nicht länger als 24 Stunden - dabei handelt es sich nicht um Zensur, sondern um das limitierte Zeitfenster der berufstätigen Person hinter diesem Blog, die Ihnen den ganzen Krempel gratis zur Verfügung stellt. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit, und auf zur Checkbox.