09. Oktober 2019 – Nachtschicht

„Weil mich haben die Sterne getröstet. Von klein auf. Das Licht hat mich genauso getröstet, wie das Wissen um die Stille dort oben. Aber ich hatte auch meine Eltern hier unten, meine Schwester. Und dann meine eigene Familie, das hat geholfen.“
„Bei was geholfen?“ Ich kam nicht richtig mit.
„Halt. Sie haben Halt gegeben, von dem ich dachte, der hätte was mit dem Ort zu tun, wo ich aufgewachsen bin.“
„Ich bin hier aufgewachsen, und will nur von hier weg. Wenn ich mit der Schule fertig bin, bin ich auch mit Vilshofen fertig.“
„Die Wahl hatte ich nicht.“
„Versteh ich nicht. Tut mir leid, das ich nicht mitkomme, ich – -“ „Schon gut.“ Papa Rothe lächelte.
Ich konnte jetzt sehr gut verstehen, dass das für Nadine, wie für jedes Kind ein Geschenk war. Diese Geduld, die er einem entgegen brachte war sehr einnehmend.
„Auf dem Zettel steht Magdeburg, nicht wahr?“
„Ja. Stimmt das denn nicht?“
„Bei meiner Frau und Tochter schon, bei mir nicht. Ich bin ein Heimatvertriebener.“
„Dafür sehen sie mir zu jung aus.“
„Nein, erst nach dem Krieg“, lachte er. „Von der innerdeutschen Grenze. Da wurden ganze Landstriche und Dörfer geräumt. An einem Tag standen Männer in Uniformen in unserem Garten, und wir hatten zwei Stunden um unsere Sachen zu packen.“
„Ach du Scheiße.“
„Das kannst du laut sagen. Siehst du das?“ Er hielt mir seinen nackten Unterarm hin. „Ich krieg noch heute Gänsehaut, wenn ich nur daran denke. Ich war damals zu jung um es zu verstehen, und eigentlich habe ich es nie verstanden. Einfach so. Haus, Garten, alle meine Spielplätze und Spielkameraden – weg. Meine ganze Welt, eigentlich. Die Sonne hat sich kaum bewegt, da ist keine Wolke, und in dir drin ist plötzlich nur noch Schatten. Und dann wurde es schlimmer.“ Er verstummte.
„Das klingt furchtbar.“ Ich sah ihn abwartend an, gab ihm Zeit die Worte zu finden. Aber es kam nichts mehr. „Warum erzählen sie – erzählst du mir das alles?“
„Weil wir nicht in Bayern bleiben werden, und ich möchte, dass du das deinem Freund erzählst.“
Jetzt sackte mir das Herz in die Hose. Scheiße, was hatte er da gerade gesagt? Wie, wann, wohin?
„Wie heißt er noch…“
„Daniel?“
„Ja, richtig: Daniel. Meine Tochter…“ Er atmete tief ein. „Nadine hält große Stücke auf ihn, und – -“
„Zu Recht“, warf ich ein. Vielleicht mit einer Idee zu viel Ärger in der Stimme.

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