„Wieso sind sie nicht einfach mitgefahren?“
„Dann hätte ich mich mein Leben lang gefragt, ob der Mann, der uns geholfen hat, noch lebt. Oder ob er nur deswegen gestorben ist, weil er uns helfen wollte.“
Jetzt war ich es, der nickte.
„Ich musste einfach sicher sein. Und gleichzeitig bleibt die Zeit stehen. Mir ging alles zu langsam, und um mich herum, zwei Meter weiter so schnell, so unglaublich schnell, und ich bekomme das alles mit – als würde man durch Schlamm waten.“
„Ja, das ist mir hier auch aufgefallen. In jeder Minute scheint sich ein Tag zu verbergen, in konzentrierter Form, und in jedem Tag dann eine Woche, in jeder Woche ein Jahr. So etwas habe ich noch nie erlebt.“
Wir schwiegen beide.
„Ob sich das wieder angleicht?“, fragte ich in meine Bierflasche hinein, die ich hin und her kippelte. „Also dass sich die Zeiten wieder angleichen und alles normal läuft?“
„Da kann ich dich beruhigen“, sagte Rothe. „Das bleibt nicht so. Auch wenn einen die Sorgen im Moment verrückt machen.“
„Sie hätten sie so oder so gefunden, es – -“
„Das weiß ich jetzt auch, aber dort, noch in Österreich? Dort nicht. Ich habe in den letzten zwei Tagen jeden Halt verloren.“
„Wie auf einem Weltraumspaziergang“, schlug ich vor. „Wo man so übervorsichtige Bewegungen machen muss, ganz langsam, damit man sich den Anzug nicht beschädigt.“
Er sah mich musternd an. „Ja. Aber das war kein Weltraumspaziergang. Da war keine Leine, keine Sauerstoffversorgung. Alles war weg, abgeschnitten. Kein Funk, nichts. Ich habe stumm in meinen Helm geschrien, und niemand hat mich gehört.“
„Solche Albträume habe ich manchmal als Kind gehabt, dass ich meine Mutter rufe, wie sie neben dem Filmprojektor steht, der einzigen Lichtquelle, und sie hört mich einfach nicht.“
„Filmprojektor?“
„Ja, im Altenheim, wo sie arbeitet?“, erklärte ich. „Und da durfte ich nicht sprechen, dabei war der Ton immer zu laut, weil sonst die Hälfte der Bewohner gar nichts gehört hätte.“
„Hat dich das Licht getröstet?“
„Vom Projektor?“
„Ja, weil Angst hat man doch vor der Dunkelheit, oder nicht? Und
so ein Projektor ist doch hell. Ich – – entschuldige, ich wollte dich nicht unterbrechen.“
„Keine Ahnung, darüber habe ich noch nie nachgedacht. Reden Sie weiter.“
„Anton.“
„Was? Ach so, ja, Johann.“
Wir schüttelten einander nochmal die Hände.