08. November 2019 – Nachtschicht

„Ich hab nochmal weglaufen gesagt. Wir müssen nochmal weglaufen. Ich und Daniel. Wenn er nicht will, dann mache ich es alleine.“ Ihre Stimme zitterte.
„Aber sie haben euch doch wieder eingefangen.“
„Nein, ich meine weglaufen wie ‘in ein Flüchtlingslager gehen’. Mit nichts was uns zurück hält.“
„Aber du – -“
„Johann! Verdammt, bitte versteh doch. Wir tun es einfach nochmal!“
Dann fiel bei mir endlich der Groschen. „Heilige Scheiße, das könnte funktionieren!“
„Stell dir doch vor, wie das ist, wir stehen einfach in der Schlange und schauen nur noch nach vorne, nicht mehr zurück. Wir sind nur noch Gesichter unter hundert anderen.“
Sie hatte recht, mit allem. Warum war mir das nicht eingefallen? Ich hatte doch in einem Lager gearbeitet, hatte die Lösung die ganze Zeit vor der Nase, war angelernt worden und alles, aber für mich selbst in Betracht gezogen haben ich es nicht. Die Idee war genial.
Ich überlegte einen Moment, ob ich zu ihr fahren sollte, dann könnte sie mit mir weglaufen. Ich würde einfach behaupten, dass Daniel kalte Füße bekommen hätte, ich hingegen… nein, das konnte ich ihm nicht antun. Aber mir doch auch nicht.
„Johann, entweder Daniel ist diesen Donnerstag da, oder ich geh alleine. Sag ihm das und macht endlich.“
„Aber – -“
„Nein, kein ‘aber’ mehr. Ich will kein ‘aber’ mehr hören. Ich hab genug davon. Es reicht. Die lügen sich hier alle die Hucke voll, und ich bin wie eingesperrt, nicht mehr in der DDR, aber in einer… in einer Stadt, einer Schule, die genauso ist.“
„Er wird da sein, das verspreche ich.“ Was sagte ich denn da bloß?
„Gut, sag ihm er soll mich im Theaterpark treffen, hinter der Skulptur die wie Amors Herz aussieht.“
„Was?“
„Amors Herz, Theaterp…“ iep, piep, piep machte es. „Scheiße, guckt auf einen Stadtplan, da -“ und weg war sie.

„Wieso Donnerstag?“, fragte Lukas.
„Ich meine sie hätte was von Bussen gesagt, die da ankämen? Und was von unter die anderen mischen.“
Daniel strahlte. Seine Anspannung war wie verflogen. Er beschwerte sich nicht einmal darüber, dass ich mich nicht Wort für Wort an alles Gesagte erinnern konnte, denn er war zu glücklich mit dem, was er verstanden hatte. Noch zwei Tage, und er war hier weg. Noch zwei Tage, und er sah sie wieder. Zwei, zwei, zwei.
Lukas und ich sahen einander an. Wir verstanden, dass das ein Risiko darstellte, so kurz vor dem Ziel. Irgendwie mussten wir darauf reagieren, uns und seine bevorstehende Flucht absichern.

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