„Du willst, dass er endlich von Daniel erfährt, dass er nicht der einzige mit Nachwuchs ist?“
Gibt es etwas besseres, als wenn einem die eigenen Eltern in dem bestätigen, was man denkt, ohne es überhaupt noch selbst aussprechen zu müssen? „Ich an seiner Stelle würd’s ihm sagen.“
„Und du hast Angst, dass er wieder wochenlang sauer auf dich ist, wie als du es mir erzählt hast.“
Ich nickte.
„Du kannst die Entscheidung nicht für ihn treffen.“
„Was kann ich denn dann tun? Es zerreißt mich, Mama.“
Sie nahm mich an den Handgelenken und drückte sanft zu. Das beruhigte mich immer.
„Im Altenheim – -“
„Ach komm mir nicht mir deinen Geschichten aus dem Altenheim“, flehte ich.
„Im Altenheim“, wiederholte meine Mutter langsam, „da warten sie alle auf den Besuch von ihren Enkeln. Auch die, die überhaupt keine Kinder haben. Als würden sie sich bei anderen Mitbewohnern anstecken, so geht das reihum. Sie warten und warten, sind unglücklich und bauen Erwartungen auf, die kein Enkelbesuch erfüllen kann. Mit dem Warten machen sich viele auch jedes kleine Glück zunichte, das sie haben könnten, jeden Tag. Das hat mich mal sehr getröstet. Wusstest du das?“
„Das kleine Glück?“
„Nicht um Enkel zu trauern, die ich nicht habe. Sondern darüber froh zu sein, dass du dein Glück mit mir teilst, und ich meins mit dir. Das Glück dich immer noch in meinem Leben zu haben. Dazu gehört auch, dass ich Entscheidungen von dir akzeptiere, die ich nicht teile. Und das ihr Lukas nichts gesagt habt, fand ich noch nie richtig.“
„Was du nicht sagst.“ Ich befreite meine Hände und lehnte mich zurück und zog eine Zigarette aus der Packung.
„Oder das da – -“
„Mutter!“, stöhnte ich. „Ich hab’s kapiert.“ Sie schusserte mir mein Feuerzeug über den Tisch zu.
„Du warst eifersüchtig, wenn Daniel und Lukas länger bei uns geblieben sind. Und sie waren so oft da, das ich mir überlegt habe ihnen einfach gleich eigene Schlüssel machen zu lassen.“
„Ist ja auch kein Wunder, dass die nicht zu sich nach Hause wollten.“
„Was du bei deiner Eifersucht übersehen hast war, dass sie sich Sorgen um dich gemacht haben. Sie haben sich die gleichen Vorwürfe gemacht, wie ich. Dass sie dich zu lange allein gelassen haben, dass sie nicht für dich da waren, als du sie am meisten gebraucht hast.“
„Ich war nur doof gewesen, und – -“
„I red ned fo dia“, unterbrach mich Mama. „I wui song, des di da Lukas und der Daniel genauso liam, wia i di. Deswegn warn di für mi seitdem imma wia Familie. Host mi?“
Wenn sie ins Bayrische rutschte, war sie nicht mehr zu Scherzen aufgelegt. Bei Lukas mochte es immer fröhlich klingen, bei Mama war dann der Spaß unmissverständlich vorbei.