„Geht’s um a Frau?“ wollte er wissen, woraufhin Lukas nickte und Daniel wieder zu schluchzen begann. „Des hob i mia denkt.“ Er schenkte Daniel noch einmal nach und nahm dann selber einen tiefen Schluck aus der Pulle. „Der greift und lost ned locker“, hustete er. „Wia a gscheids Weibstück a, aber des verstegds no ned.“
„Was gibt’s denn da nicht zu verstehen?“, hauchte Daniel.
„Wenn ma jung is, da mogst no Ferrari foan.“
„Daniel verstegt nix von Autos“, warf Lukas ein.
„Wort’s ob, so fui versteht er a no“, beharrte Geistler. „Wannst de Wahl hast, zwischa’m Ferrari und am Traktor, wos nimmst?“
„Häh?“ Lukas war überfordert. „An Ferrari.“
„Du Depp!“, fauchte Geistler. „Em net! Bei schenam Wetter, eh kloa, da rauscht du mit so am tiefaglegt’n Brett über’d Stroß, und ois passt.“ „Sog i doch“, protestierte Lukas.
„Ja, aber wos mochst, wannst in der Scheißn steckst, wia jetztad dei Freind? Do kimmst mit am Ferrari ned weid, und wanna no so fui PS hod. Am Föidweg haut’s eam scho den Spoiler weg, ’d Radln kriagn an Plattn und de ganze scheene Karre kracht auf de Felgn“, dozierte Geistler triumphierend. „Aber a Traktor, der kimmt überoi hi. Der ziagt de ausse. Is vielleicht ned so schee an zu schaugn, und a bisserl langsam a, aber wann’s drauf o kimmt, da ziagta di auße. Aus am Schlamm, aus am Acker, aus der Scheiße. Immer. Und jetzt schleicht’s eich.“
„I hob eam auße zog’n – wos hoast denn nachad des?“ Geistler rollte nur mit den Augen und schloss die Garage.
Recht hatten beide, Lukas und der Geistler. Aus der Scheiße zu ziehen galt es in unserem Fall beide, Daniel und Nadine. Lukas war für Daniel schon zum Traktor geworden, und ich musste es für Nadine werden, damit die beiden es ab dann füreinander sein konnten, wie es schon von dem Tag an hätte sein sollen. Aber wer weiß, ob ihre Ehe überhaupt so lange gehalten hätte, wenn sie nicht gleich zu Anfang derart auf die Probe gestellt worden wäre?
Die Nachtschicht ist rum, und ich fühl mich noch wach. Ob ich durchmache? Erstmal von Schwester Anita verabschieden.
Eins noch: Habe mich nie wieder so maßlos von jemandem enttäuscht gefühlt, wie von Anton Rothe. Weniger als 24 Stunden war er in meinem Leben gewesen. Zuvor habe ich viel Gutes über ihn gehört und die Sehnsucht nach und die Angst um ihn bei anderen beinahe körperlich greifen können. Dann die Freude über die Wiedervereinigung mit seiner Familie, sein einnehmendes Wesen, das Verständnis für Daniel, wie er sich gegen dessen Vater eingesetzt hatte – ich war selbst im Nu Fan geworden. Auch das Gespräch mit ihm war so weit okay gewesen. Aber das, was mir die anderen vom Bahnhof erzählt haben, schien einen völlig anderen Menschen zu beschreiben, als den, den ich kennengelernt hatte. Und wenn es mich schon so schockierte: Wie musste sich das erst für Nadine und Doris angefühlt haben? Das nennt man dann wohl ein Wechselbad der Gefühle, das dann zusammen mit dem Baby in die Vils ausgekippt wurde.
© Jens Prausnitz 2022