06. November 2019 – Nachtschicht

Jetzt hat sie mich nach einem Wort gefragt, für ihr Kreuzworträtsel, das damit wohl auch fertig ausgefüllt ist, denn sie legte das Heft zur Seite. „Siehst du, wenn ich was nicht weiß, dann frage ich.“
„Was? Ja, ja, gern geschehen. Kein Problem.“
„Weil manche verwechseln das mit Neugier“, lachte Schwester Anita gekünstelt.
„Äh, Kreuzworträtsel?“ Heute gibt sie mir weit mehr Rätsel auf, als waagrecht oder senkrecht unterzubringen waren.
„Auch, aber mehr so allgemein.“
Ich guckte etwas verkrampft auf das Tablet und hielt diesen Dialog fest, in der Hoffnung, dass sie mich dann wieder in Ruhe lassen würde. Und? Es hat geklappt!

Seitdem halte ich bei jedem Telefonklingeln zu Hause die Luft an. Sollte ich Herzrhythmusstörungen kriegen, dann haben die dort ihren Ursprung. Mein Mobiltelefon hat nicht mal einen Klingelton, weil ich es bei Anrufen nur vibrieren lasse, und auf dem Festnetz ruft eh niemand an. Außer Mutter, weil die irgendwie immer weiß, wann ich Zuhause bin. So zuverlässig, dass es mir ein bisschen Angst macht. Ich hab keine Ahnung, wie sie das macht. Darauf angesprochen meinte sie nur, dass sie nicht darüber nachdenke. Ich wünschte, sie würde damit anfangen, weil ich glaube, dass das nur dann aufhört.
Jedenfalls dauerte es bis Freitag, dass Nadine tatsächlich anrief. Vorher waren alle möglichen Leute dran, nur sie nicht: Der Chef aus dem Altersheim, der Pfarrer, jemand von den Stadtwerken, auch Verwandte aus dem bayrischen Wald, von denen ich noch nie gehört hab. Es war unglaublich. Und bei jedem Klingeln sprang mein Herz so hoch, dass es mich aus einem Sessel hochkatapultiert hätte. Pfeilgerade nach oben, bis an die Decke. Mit trockener Kehle röchelte ich dann ins Telefon: „Johann Mayr.“
„Hallo Johann, ich bins“, frohlockte sie durchs Telefon, als stünde sie im Nebenzimmer.
„Es…“ Ich räusperte mich. „Es tut so gut dich zu hören. Wie geht’s dir?“
„Beschissen, sag ich dir. Ich halte es hier nicht mehr aus. In der Schule ist es fast noch schlimmer, als zu Hause. Da gehe ich mir nur selbst auf die Nerven, aber in der Schule? Sind die im Westen alle so? Die Schüler meine ich?“
„Keine Ahnung, ich bin selten länger aus Vilshofen rausgekommen.“
„Ich dachte, ihr würdet mich damit nur aufziehen! Gießen kannst du aber gerne von deiner Liste streichen.“
„Ok.“
„So gut, dass es endlich geklappt hat, ich dachte ich werde noch verrückt. Ich hab sogar versucht die Tankstelle anzurufen, aber da hebt nie einer ab.“
„Ich glaub die haben es nicht eingesteckt, oder so. Lukas weiß da bestimmt mehr.“
„Du, wir müssen uns etwas beeilen, ich hab heute nicht so viel Kleingeld.“
„Wieso, ich – -“

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