Gestern wieder so schlecht geschlafen, dass ich heute gar nicht erst darauf warte, bis ich mich im Bett herum wälze. Aber was mache ich dann? Jedenfalls nicht wie sonst Film gucken, bis ich müde werde. Nein, heute habe ich mich direkt mit dem Laptop an den Küchentisch gesetzt, und schreibe jetzt, bis mir die Augen zufallen. Hauptsache irgendwas fällt, vielleicht ja endlich der Groschen.
In der Klinik meinte Doktor Weber mal dazu, mir fehlten nur die richtigen Rituale: nicht mehr zu spät essen, trinken, rauchen, vor Mitternacht unter die Decke, immer zur gleichen Zeit und so weiter. Das hatte ich mir auch schon so ähnlich aus Artikeln und Ratgebern angelesen. Dann natürlich in einem kühlen Zimmer liegen, kein blaues Licht mehr nach der Tagesschau, ionisierte Luft und weiß der Geier was sonst noch alles. Ich glaub nicht, dass es bei mir etwas damit zu tun hat. Hat mich früher auch nicht gestört. Ich konnte immer überall gut schlafen, auf Donaukies genauso wie im von der Sonne aufgeheizten VW-Bus. Ja, ich bin jetzt älter, aber mein System war immer kein Ritual zu haben. Von vielen Problemen erfährt man ja erst, dass es sie überhaupt gibt, wenn man sie kriegt. Das ist jedenfalls auch eins, auf seine Art. Vielleicht ein bisschen bekloppt, aber meins, und ich bin lange gut damit gefahren. Oder eher gelegen.
Das hier ist was anderes.
Vor dem blöden Satz bin ich jetzt fünf Minuten mit blinkendem Cursor gesessen. Wenn man nicht weiter weiß, einfach ein paar Schritte zurück machen. Ist ja auch beim Elfmeterschießen so.
Also worum ging’s gestern, ach vorgestern oder wann auch immer? Erster Schultag 1989. Schon lustig, dass am gleichen Tag, als die DDR Flüchtlinge über die Grenze durften, wir wieder in die Schule mussten, und selbst mit Fluchtreflexen zu kämpfen hatten. Also in der Schule war es bestimmt wie immer, ich war halt nur nicht da, denn die Weichen für unser aller Leben stellten sich draußen. Die Wiedervereinigung kündigte sich an, in jenem September vor 30 Jahren, nur dass wir nicht mal im Traum daran gedacht hätten. Dabei passierte es direkt vor unserer Nase. Die Tragweite der Geschehnisse war uns nicht ansatzweise bewusst, obwohl einen allein schon die anwesende Presse aus dem Ausland hätte nachdenklich machen müssen. Die waren ja nicht wegen uns vor Ort. Außerdem war noch immer Sommerloch und da wurde über alles berichtet. Die sollten Bilder machen von DDR-Bürgern, die sich aus ihrer Mangelwirtschaft in den rettenden Westen flüchteten. Als die dann Arbeitsverträge zu Dumpinglöhnen hinter dem Rücken aller Gewerkschaften unterzeichneten, waren die Kameras schon wieder weg und auf andere Motive gerichtet. Die von der Wirtschaft in die Mangel genommenen Arbeiter hätten das DDR-Fernsehen interessieren können, das hatte aber leider keine Kameras geschickt und lieber andere Sorgen erfunden. Noch.