31. Dezember 2019 – Spätschicht

Vorher halte ich vielleicht Ausschau nach Valentin, wie er da oben seine Kreise zieht. Ich habe zwar kein Auge dafür, wie Nadja, aber ich kann es wenigstens versuchen.
Was ich damals hätte sagen sollen war: „Valentin braucht jetzt keine Raumkapsel mehr, sondern eine Bodenstation“, schlug ich vor. „Seine Umlaufbahn ist doch stabil, oder?“
Nadja würde dem nur schwer widersprechen können.
„Dann… genügt doch ein Kontakt einmal im… Monat?“ „Übertreib’s nicht, Johann. Aber danke für den Versuch.“
Dann würde sie lächeln, nur ein bisschen. Aber sie würde sich später daran erinnern. Und mit jedem Tag, der vergeht, würde sich dieser Gedanke in ihrem Kopf einnisten, und die Bodenstation an Form gewinnen. Sie würde neue Module hinzu fügen, aber nicht auf der ISS, sondern hier unten, bei uns, wo wir ihr Halt geben könnten, und sie nicht länger mit Valentin allein um die Erde kreisen würde.
Stattdessen war das einzige, was mir einfiel Daniel gewesen. Hatte ich damals in Vilshofen nicht schon den gleichen Fehler begangen? Über ihn geredet, anstatt über sie? Sie war wirklich Nadja geworden, aber ich war noch immer der gleiche Idiot, wie zuvor.
„Hast du ihm das schon mal so gesagt? Also so, wie mir eben?“ „Das kann ich nicht“, sagte Nadja. „Dann fühlt er sich schuldig.“
„Tut er doch sowieso?“, warf ich ein.
„Ja, aber… ich weiß nicht.“
„Mach es einfach, ok? Was habt ihr schon zu verlieren?“
Nadja weinte sich an meiner Schulter aus bis mein T-Shirt nass von Tränen und Rotz war, ihr Körper bebte unter mir, ich spürte ihre Hitze, und so sehr mich das erregte, sie war nicht mehr bei mir wie noch wenige Stunden zuvor. Ich hielt sie so fest ich konnte, weil sie mich darum bat, als würde sie sonst davon treiben, in die Schwärze des Weltraums. Aber sie war woanders, das konnte ich spüren. Ich hielt nur die Raumkapsel, aber die Kosmonautin war selbst auf Außenmission, oder auf der Bodenstation, was weiß ich. Scheiß auf die Weltraummetaphern. Ich wollte Nadine zurück haben!
Und Daniel auch! Und Lukas, mein Leben wie es einmal war, nur woanders, wie in Vilshofen, aber ohne in Vilshofen zu sein. Wieso waren wir nicht zusammen geblieben, und alle zusammen weg gelaufen? Wir brauchten einander, und jetzt saß ich hier alleine da. Einer ist halt immer dran.

Als wir dann langsam wieder nüchtern wurden, gingen wir zum Frühstück und aßen schweigend was wir schon herunter brachten. Danach packten wir unsere Sachen und trafen uns in der Lobby. Ich fühlte mich schmutzig, und auch Nadja vermied Augenkontakt. Ich begleitete sie zum Bahnhof, und wir hatten noch ein bisschen Zeit, bis ihr Zug ging.
„Was hast du jetzt in Berlin vor? Das Oberpfaffenhofen nicht attraktiv klingt, hätte ich dir ja auch vorher schon sagen können.“
Sie rang sich ein Lächeln ab, und immerhin hatte Nadja die Grübchen von ihrem früheren selbst behalten.

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