„Es war nicht deine Schuld, Nadja“, sagte ich wie der letzte Trottel. „Dann meine Strafe, für das was ich meinen Eltern angetan habe.“ „Was sie dir angetan haben“, korrigierte ich sie behutsam. „Sie haben sogar ein paar Wochen Zeit gehabt um sich bei dir zu entschuldigen, das haben sie versäumt.“ Hörte sie mir überhaupt zu? Wenn nicht, war es wahrscheinlich besser so.
„Jetzt bin ich eben da draußen allein mit ihm. Im Weltraum, ohne Sauerstoff, umgeben von Kälte, jeder Stern unendlich weit weg, deren Licht genauso tot ist wie mein Kind und ich.“
„Du bist nicht tot.“
Sie nickte trotzig. „Doch, ich – die Raumkapsel, ich war kein sicherer Hort für ihn, keine lebenserhaltende Maßnahme, sondern eine tote Kapsel. Wir umkreisen als Weltraumschrott die Erde. Ich kann ihn nicht da draußen alleine lassen.“
Auch darauf wusste ich nichts zu erwidern, dabei war das S.O.S. Signal deutlich zu vernehmen, aber welche Worte hätten da Trost spenden sollen? Und warum trösten? Die Trauer war berechtigt. Und irgendetwas sagte mir, dass sie das Daniel noch nicht so erzählt hatte.
Mir war schlecht, so unendlich schlecht von dem bisschen Whiskey, und mein irgendwie doch in Erfüllung gegangener Wunschtraum verwandelte sich in einen Albtraum. War das eben alles nur Einbildung gewesen?
Nadja hat mich gar nicht in ihr Zimmer gelassen. Nie. Das war die 107 aus dem Albtraum, weil es das nirgendwo gibt, und ich keinen Schlüssel dafür habe. Auch Lukas nicht. In 107 hat sie nur Daniel und später die Kinder gelassen, und die warten alle dort auf sie.
Für mich war sie noch einmal Nadine geworden. Vielleicht auch ein klein wenig für sich, aber es war ein Spiel gewesen, dessen Spielregeln ich noch nicht einmal verstand, genauso wenig wie die vom Schafkopfen, bis heute nicht. Aber jetzt wusste sie, dass sie nicht mehr Nadine sein wollte, da war nur noch Nadja. Das weiß ich jetzt. Damals, in meinem besoffenen Kopf, suchte ich nach Nadine in den Laken, aber die war nicht mehr da, hatte sich in Luft aufgelöst.
Bin wieder von der Arbeit zu Hause, von „guten Rutsch“, „bis morgen“ und „drauf geschissen“ war alles dabei. Auf dem Nachhauseweg begegnete ich schon den ersten Partygästen beim tapferen Vorglühen auf ihren Wegen in die Nacht. Das konnte mir alles gestohlen bleiben. Auch ohne die Buschbrände in Australien, wo sich Touristen vor einem Feuertornado am Strand verstecken müssen, an dem sie von allen Seiten vom Feuer eingeschlossen sind. Aber worauf warten wir denn bitte noch? Ich wusste bis vorhin gar nicht, dass es sowas wie einen Feuertornado überhaupt gibt – ich mein, was zur Hölle… Einmal Apokalypse bitte, aber all inclusive.
Nachher knallt bestimmt jemand auf seinem Balkon, und bei mir im Haus steigen ein paar konkurrierende Partys, von Wänden und Decken ein wenig gedämpft.