Wieder eine lange Pause, in der ich spürte, wie ihr Abstand zu mir innerlich immer größer wurde, und ich Depp tat nichts dagegen!
„Ich würde gerne mal hören, was er zu sagen hat, nicht nur Übersetzungen von Lukas’ Monologen. Er hat eine so schöne Stimme.“
„Gib ihm noch ein bisschen, das wird schon.“
Sie nickte und guckte zur anderen Seite, ich glaube um sich eine Wimper aus dem Auge zu wischen. Sie atmete tief ein. Ich wollte gerade alles, nur nicht über Daniel mit ihr reden müssen. Mit allen jederzeit, aber warum ausgerechnet mit ihr? Und jetzt?
Jetzt fuhr ich fort: „Er braucht die Zeit. Wenn er schnell antworten muss, dann sind seine Worte kantig, damit sie weh tun, wenn sie einen aus kurzer Distanz treffen. Dafür hat er ein Talent entwickelt, wahrscheinlich weil ihm zu oft der Mund verboten wurde.“
„Bei mir war’s andersrum. Da war selten jemand, der genug Zeit hatte mir Zuzuhören.“
„Jetzt schon, oder?“
Sie nickte.
„Wenn Daniel schweigt, dann feilt er noch an den richtigen Worten herum.“
„Viel Zeit haben wir vielleicht nicht mehr.“
„Ich hab nicht gesagt, dass er immer fertig wird. Auf seinen ersten abgeschlossenen Songtext warten wir ja auch noch.“ „Echt?“
Ich nickte. „Darum habe ich ja selber angefangen welche zu schreiben.“
„Und?“
„Ich hab’s doch schon gesagt: Ich bin nicht gut mit Worten.“
Ein drittes Mal hatte ich sie zum Lachen gebracht, und dann rauchte sie noch heimlich mit mir eine Zigarette, obwohl sie sich sicher war, dass das ihre Mutter an ihr riechen würde, wie ein Spürhund.
Nadine drehte die Zigarette nachdenklich zwischen zwei Fingern, und blies auf die Glut, die bereits auf den Filter herunter brannte, dann schnippte sie ihn weg, Richtung Mond, und machte dabei ein Raketengeräusch.
„Und wieder nichts“, seufzte sie.
„Die brennt noch“, sagte ich wenig hilfreich.
Nadine’s Blick nahm eine überraschende Härte an. „Wir verglühen alle in der Atmosphäre, nur so langsam, das wir es gar nicht merken.“ Sie stand auf. „Es vorher in eine Umlaufbahn zu schaffen, das wär was. So wie Walentina Wladimirowna Tereschkowa. Sagt dir die was?“, fragte Nadine.
„Das kann ich ja nicht mal aussprechen“, gestand ich. „Äh, klingt russisch und nach einer Frau. Wer war das?“
Nadine lächelte. „Ein Traum, der vielleicht noch wahr wird.“ Sie ging die paar Schritte bis zu der Zigarettenkippe, und trat sie aus. „Die Stufen der Trägerrakete zurück lassen, und dann allein in der Kapsel weiter zu den Sternen.“ Sie sah mich an und kam nochmal zu mir zurück. Mein Herz schlug mir bis zum Hals. „Danke dir, ich dreh noch eine Runde, allein.“ Dann beugte sie sich zu mir herunter, ich spürte ihren Atem an meinem Ohr, als sie „Du bist ein guter Freund“ hinein flüsterte, dann drückte sie mir ohne vorher einzuatmen noch einen Kuss auf die Backe, so dass sich ihre Nase am Rand meiner Augenhöhle ein bisschen platt drückte. Dann war sie eine hüpfende Silhouette, die kleiner wurde, und um eine Zeltecke verschwand. Ich spürte ihre Lippen noch immer, wo sie mich berührt hatten, vielleicht weil sich zwischen den Zelten die Luft bewegte, und die Stelle ähnlich reagierte, wie ein befeuchteter Finger im Wind. Eine Elfe, ein Zauberwesen hatte mich besucht und geküsst. Und mein Herz gestohlen. Wie ausgeraubt saß ich da, war glücklich und am Boden zerstört zugleich. Alles an mir, aller Ballast, alles war weg. Ich war ein Heißluftballon, bis zur Schwerelosigkeit aufgeblasen und bereit vom kleinsten Windhauch davon getragen zu werden.