26. September 2019 – Nachtschicht

Das habe ich bestimmt nicht so gesagt. Das mit der Biene ist mir erst jetzt wieder eingefallen. Oder hatte sie es gesagt? Irgendwie so ähnlich muss es sich abgespielt haben. Ich bin dieses Gespräch in meinem Kopf unzählige Male durchgegangen, und ich weiß nicht mehr, was davon wirklich stimmt, und was ich inzwischen hinzugefügt habe. Es wird in meiner Erinnerung unschärfer und gleichzeitig in meiner Gegenwart immer präziser.
„Dann eher Biene, aber ich dachte eigentlich an die Sterne.“ Nadine deutete nach oben. „Wenn hier nicht so viel Licht von der Straßenbeleuchtung wäre, könntest du die Milchstrasse sehen. Und mit anderen Augen noch viel mehr. Da sind nicht nur Sterne, sondern ganze Galaxien, und… Zwischenräume.“
Wenn ich doch damals nur so schlau gewesen wäre, um das Gespräch auf unsere Körperwärme zu lenken, deretwegen sie sich ja an mich lehnte. Sie suchte Wärme, das war alles, und ich teilte meine nur zu gerne mit ihr.
„Ich glaub ich bin da mit meinen schon überfordert. Ohne Brille sehe ich nichts, da bin ich mehr Maulwurf als Biene. Und ich kenn kein einziges Sternbild außer dem großen Wagen. Oder dem kleinen? Ich… hab’s nicht so mit Autos.“
„Ist sowieso ein großer Bär und kein Auto“, lachte Nadine. „Und Lukas redet von nichts anderem, glaube ich. Ich tu mich schwer ihn zu verstehen und hab heute erst am Nachmittag begriffen, wen er mit Monika meint.“
„Welche Monika?“
„Na der Trabi. Das ist Monika.“
„Ach, Lukas. Du Kindskopf.“
„Kannst du vielleicht deswegen so gut mit Kindern?“
Ich gluckste amüsiert.
„Es ist ja ein toller Singsang, aber ich hab heute irgendwann den Eindruck gehabt, dass er so viel redet, um sich selber beim Denken zuzuhören.“
„Ja, absolut, aber er kann nichts dafür. Seine Gedanken mussten immer erst das Geschrei seiner Geschwister übertönen.“
Sie lachte und hatte dabei die gleichen Grübchen, wie ihre Mutter, und jetzt Clara. Diese kleinen wellenartigen Klammerbemerkungen hätten jeden neidisch gemacht. Von meiner Mutter hätte ich auch lieber ihre kleinen Ohren geerbt, als die große Nase, die obendrein jedesmal läuft, wenn ich was esse oder trinke, das von der Umgebungstemperatur abweicht.
„Bei dir kommt auf einen Teil Reden, ein Teil Zuhören und ein Teil Schweigen. Und wahrscheinlich noch ein Teil Nachdenken. Das ist ein gutes Verhältnis.“
„Den Teil mit dem Reden könnte man meinetwegen auch weglassen.“
Wieder diese Grübchen. Und sie knuffte mich in die Seite. Ich schmolz dahin. Es war wundervoll sie zum Lächeln zu bringen, aber ich ahnte, dass da nicht mehr sein würde. Keine Ahnung warum. Ging da schon was zwischen ihr und Daniel? In ihrem Schoss lagen ihre Hände aufeinander, wie vom Baum gefallene Blätter.
„Welchen Teil lässt denn Daniel weg?“
Als hätte ich die Frage mit meinen Gedanken angezogen. Verdammt. Hatte ich etwa das Gespräch von uns weg gelenkt? „Das Schweigen. Wobei er es nicht direkt weg lässt. Es ist mehr so, dass ihn seine Eltern nicht ausreden lassen, ihm ins Wort fallen. Er kann Schweigen nicht so genießen. Seins ist gegen seinen Willen erzwungen und kommt nicht von Innen, wie bei mir.“
„Das ist traurig.“
„Ja, denn er hätte echt was zu sagen.“
Nadine schwieg. Ich weiß nicht worüber sie nachdachte, aber ich konnte spüren, dass etwas in ihr rastlos arbeitete.
„Ihr drei kennt euch schon lange. Du, Daniel und Lukas.“
„Seit der fünften Klasse. Also eigentlich der sechsten.“

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