Losgefahren sind sie dann tatsächlich zusammen, und kamen hupend und winkend an mir auf der Aidenbacher Strasse Richtung Vils vorbei, noch ehe ich begreifen konnte was da geschah und reagieren konnte. Weg waren sie. Nadine hatte sie dann auf der Höhe der Breslauer Strasse dazu überredet, nicht am Kloster zu halten, sondern weiter nach Tiefenbach zu fahren.
„Des is doch in de entgeg’ngsetzte Richtung!“, jammerte Lukas, und Daniel übersetzte Nadine so simultan er konnte, als hochdeutsches Echo.
Sie fuhren dann vor Waizenbach rechts Richtung Hördt und dort den Berg wieder herunter. Lukas hielt unterhalb einer Stecknadelkurve kurz an und begutachtete die Lage. Auf dem Volksfestplatz, den man von dort aus gut sehen konnte, herrschte noch immer reger Betrieb, und die B8 drohte vor Trabis über zu laufen. Gleich purzelten sicher die ersten in die Donau und trieben ab, um an der Staustufe Kachlet bei Passau herausgefischt zu werden.
„Auf der anderen Donauseite kommt uns bestimmt weniger entgegen, da kommen wir schneller voran“, kombinierte Daniel.
Lukas stimmte zu, und als sie in der Kapuzinerstrasse vor der Ampel warten mussten, klopften ihnen vorbeikommende Fussgänger begeistert auf’s Dach.
„Mochts mia koane Beuln eine! Des ko i fei scho sejba a!“
„Host des ghört? D’Flichtling kennan scho Boarisch!“, murmelte jemand draußen begeistert.
Lachend ging es dann über die Donaubrücke Richtung Tiefenbach, und noch auf der Kreuzung hupten die Trabis einander aufmunternd zu.
Währenddessen blieb ich im Lager zurück, und wurde Zeuge echter Rührung im Gesicht von Max Streibl. Eine echte Regung, wie ich sie bis dahin noch nie in einem Politikergesicht gesehen hatte. Und es lag nicht an der Erbsensuppe, die er tapfer mit den Flüchtlingen löffelte, sondern weil ihm die menschlichen Einzelschicksale, die man ihm dort erzählte, tatsächlich nahe gingen, daran war nichts gespielt. Und ich verstand ihn gut, denn mir ging es ja genauso. Wie bereitwillig sie mit einem ihr Glück darüber teilten, es bis hierher geschafft zu haben, dieser Lebendigkeit, die alles in den Schatten stellte, was es hier gab, dem konnte man sich nicht entziehen. Deswegen wollte ich von dort auch nicht weg. Das Lager war wie eine Tankstelle, an der man Glück tanken konnte. Umsonst, und so viel man wollte. Danach dürsteten wir mehr, als nach allem anderen. Und hier war die Quelle, die noch die härtesten Herzen aufweichen konnte. So einfach plötzlich so vielen helfen zu können gab mir und meinem Leben einen Sinn, eine Zufriedenheit, wie ich davor noch keine kennengelernt hatte.
Zwischendurch dachte ich an Nadine, ihr Leuchten von Innen heraus, und wollte diesem Licht überallhin folgen, so wie es Daniel und Lukas jetzt gerade taten. Mein einziger Trost war, dass ich wusste sie würde hierher zurück kommen. Nicht zu mir, aber von ihrem Anmeldezettel wusste ich, dass auch ihre Mutter hier war. Und wenn ich eins von meiner Mutter gelernt habe, dann dass es wichtig ist, die Mütter kennen zu lernen, wenn man an deren Töchtern interessiert war. Und was soll ich sagen, das hat es nur noch schlimmer gemacht, denn Doris war umwerfend.
Sie hätte Nadine’s ältere Schwester sein können, obwohl sie sogar ein Jahr älter als meine Mutter war. Aber die eigenen Mutter betrachtet man mit anderen Augen, und Doris war unglaublich attraktiv, nur reifer und runder an Stellen, die sich bei Nadine erst noch entwickelten, aber auch später nicht an die Kurven ihrer Mutter heran reichen sollten. Doch allein an den gruppenweise auftretenden Grübchen hätte man ihre Verwandtschaft erkannt, denn es waren eher Sicheln, die wie kleine Klammern jeden Hauch eines Lächelns einrahmten, und einem automatisch die Laune hoben. Man verspürte den Drang sich aufzurichten, gerade zu stehen, die Schultern nach hinten und den Kopf nach oben. Aber auch ihre Augen hatten den gleichen Scheinwerfereffekt, der einen blinzeln ließ.