23. September 2019 – Nachtschicht

Wo das „Monika“ herkam hat er nie verraten. Ich vermute, dass es mit der französischen Austauschschülerin Monique zu tun hatte, die mal eine Woche da war, als wir in die achte gingen, aber ich kann mich auch irren. Woran ich mich erinnere ist, wie wir nach der Schule durch die Straßen liefen und Moniköööh riefen, und Jöööhän, Daniellöööh und Lüüükähs, aber Lukas hat nie mitgemacht, nur gequält gelächelt. Wir waren ihm peinlich, und es war uns egal.

Monika parkte er dann wohlweislich auf dem Parkplatz vom Gemeindehaus der evangelischen Kirche, die direkt in Sichtweite neben dem Bergerparkplatz lag. Dort oben war am Montag noch nicht so viel los. Es war immer noch der gleiche 11. September, und es war noch nicht einmal Mittag! Aber unser aller drei Leben standen bereits komplett Kopf. Es lag etwas in der Luft, und es kam diesmal weder von der Brauerei noch dem Verkehr der Aidenbacher Strasse. Unsere verhärtete Lebenseinstellung war binnen von Minuten aufgelöst worden, wir waren Wachs in den Händen… von niemandem. Alles hätte man aus uns formen können, alles war möglich, alles war drin, nicht nur Schrödingers Hund Katze Maus, alle seine Haustiere, eine ganze Arche Noah.
Der evangelische Pfarrer Köckhuber stand überwältigt vor einer Welle aus Hilfsbereitschaft, die eine Schlange zum Gemeindehaus bildete. Lukas lief daran vorbei, und es roch wie Weihnachten, hier nach Zimt, dort nach Zitronenkuchen, er erkannte Gesichter, die vor Freude strahlten, mit Geschenken in den Armen, so wie sie sie gerade tragen konnten. „Scheinheilige Könige“, murmelte Lukas, nur um dann geschockt festzustellen, dass da nichts von dem sonst üblichen Misstrauen in den Gesichtern stand, sondern Freude. Als seien sie einem Stern gefolgt, der jetzt über dem Bergerparkplatz stand, und statt Myrre brachten sie Windeln mit, die sich vermutlich auch als deutlich nützlicher erwiesen, wenn man gerade ein Neugeborenes besucht. Daran sieht man wohl auch, wieviel Könige mit der Kindeserziehung zu tun haben. Sehr weise, die Besucher aus dem Morgenland.

„Die ham ja doch epse bei eana dazua gleant, was Dieter?“, sagte Lukas und klopfte dem Pfarrer aufmunternd auf die Schulter, ohne dass auch nur einer von beiden bemerkte, dass eigentlich ein Herr Köckhuber angemessen gewesen wäre. Außerdem war Lukas katholisch, aber er kannte ihn ja aus den ökumenischen Schulgottesdiensten, die er gemeinsam mit Herrn Schlichting hielt.
„Da predigst du 30 Jahre lang Nächstenhilfe, und wenn es plötzlich alle tun, kannst du es kaum glauben.“
Es kann sein, dass Lukas die glasigen Augen von Herrn Köckhuber gesehen hat, als er das murmelte, aber wahrscheinlich hat er es für eine Spiegelung in dessen Brille gehalten, denn er lief längst weiter, hinten um das Gemeindehaus herum. Natürlich auf der Suche nach uns, um mit seiner Eroberung anzugeben.
Dann lief auch er in Nadine. Na, fast.
„Kannst du das bitte mal halten?“
Lukas drehte sich zu ihr um und sah sie erst nicht richtig, weil sie vor der Sonne stand, so dass er die Augen zusammenkneifen musste. Als er die Hand über die Augen hielt, sah er blinzelnd, wie schön sie war. Und oben ohne, weil sie ihm gerade ihren BH hinhielt. Wobei das so nicht ganz stimmt, denn der BH war nicht ihrer, sondern einer, den sie aus den Kleiderspenden für ihre Mutter herausgefischt hatte. Sie selbst trug einen zu eng anliegenden pinken Badeanzug, unter dem sich ihre Nippel abzeichneten. Lukas fielen trotzdem fast die Augen aus dem Kopf und er nahm ihr mit der freien Hand zittrig den BH aus der Hand, vorsichtig zwischen Daumen und Zeigefinger als wäre er ein ausgerollter Fliegenfänger, auf dem er doch eigentlich landen wollte.
„Und das hier bitte auch?“ Nadine warf ihm ein Sommerkleid zu, dass er geschickt mit dem ausgestreckten Arm auffing, und diente willig als lebender Kleiderständer. Seine Augen gewöhnten sich an das Gegenlicht, während sich Nadine durch die Kisten grub.

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