So viel Durchhaltevermögen hatte Lukas’ leiblicher Vater nicht mal im Ansatz bewiesen. Der strahlte überhaupt keine Autorität aus, also suchte er sie woanders und fand sie in unserem philosophierenden Metzger. Man hätte es auch schlechter treffen können.
Und ich… nun, mein Vater hatte uns sitzen lassen. Das war so ähnlich wie bei Lukas, und doch anders. Er wusste ja, wo er war, meiner war weg. Dachte ich jedenfalls lange. Bis der Brief vom Anwalt kam, und Mutter noch in der Arbeit war. Es ging um Alimente, die er natürlich nicht zahlte. Den Brief hatte ich über Wasserdampf vorsichtig geöffnet, darin eine Adresse gefunden, die ich mir aufschrieb, und dann mit zittrigen Händen den Brief wieder verklebt und zurück in den Briefkasten getan. Dann hielt ich es nicht mehr im Haus aus und lief die Ortenburger Straße hoch, dann runter und aus Vilshofen raus. Erst in Zeitlarn hatte ich mich einigermaßen gefangen.
Davon habe ich Mama bis heute nichts erzählt. Das war, als mir noch die Adern schmerzhaft an den Handgelenken pulsierten, wenn ich mich aufregte. Sie hätte sich Sorgen gemacht, und zu Recht. Erst hatte sie mich vor dieser Information beschützt, und danach ich sie. Damit sind wir hoffentlich quitt.
Nein, mein Vater war nicht da, und einen Ersatzvater habe ich nie gehabt. Vielleicht am ehesten in Uwe Suchomel. Oder jetzt mit Dr. Heßler. Ja, da ist was dran.
Es gibt immer so verdammt wenig Auswahl an vielschichtigen, männlichen Vorbildern, denen man auch noch als Erwachsener nacheifern möchte. Für einen Jungen reichen erstmal Helden und Abenteurer, Kämpfer für Gerechtigkeit und Freiheit als Vorbilder. Wo waren denn die tollen Männerfiguren in meiner Kindheit? Morris Buttermaker? Pan Tau? Winnetou? Die hatten schon was, nur waren die alle keine Väter. Vaterfiguren gab es schon viele, aber die ähnelten unseren eigenen leider erstaunlich, und taugten von daher überhaupt nicht als Vorbild. Ansonsten gab es höchstens noch Ärzte und Anwälte.
Das Daniel am Bahnhof vorgeschlagen hat Arbeiten zu gehen, hätte ein Argument seines Vaters sein können. Um genau zu sein war es das ja auch, denn er war den Sommer über mit ihm zur Arbeit nach Aunkirchen gefahren, also ins Gewerbegebiet dort. Wobei sein Vater beim Emmer arbeitete, und Daniel beim Zeisler. Das hatte ihr Verhältnis erstmalig etwas entspannt, weil der Vater glaubte, der Sohn käme langsam zur Vernunft, würde in seine Fussstapfen treten oder sowas in der Art. Auf jeden Fall würde ihn der Knochenjob beim Zeisler von seinen Hirngespinsten mit der Musik befreien. Tat es natürlich nicht. Er machte den Job ja deswegen, um sich die Gitarre kaufen zu können, von der er träumte: eine Fender Telecaster, butterfarben. Was mich ein bisschen wunderte, weil Alex Lifeson spielte doch ne Gibson? Das Geld reichte aber weder für die eine noch die andere, aber immerhin einen Nachbau und den dazugehörigen Verstärker. Alles was er sich Zuhause jahrelang hat anhören müssen, und gegen das er sich nach Kräften stemmte, jetzt konnte er es übertönen. Wenn auch nur bei mir, im Proberaum.