14. Oktober 2019

Was, wenn er in der Zwischenzeit auf Kinderarzt umgeschult hätte? Ob er mich wiedererkennen würde, stünde ich heute vor ihm? Wahrscheinlich nicht. Ich sehe nicht annähernd mehr so aus, wie damals. Als er mich zuletzt gesehen hatte, trug ich noch eine Brille und lange, gelockte Haare. Naturlocke und offen, weil ich Zöpfe bei Männern doof finde, aber Pferdeschwanz bei Frauen liebe. Wie auch immer, jetzt trage ich Krankenhauskluft, die Haare kurz und Stirn höher. Nein, erkennen würde er mich ganz sicher nicht. Aber ich ihn. Oh ja. Diese Augen werde ich nie vergessen. Nadine hat sie von ihm geerbt, das gleiche, lebendige Grün. Selbst wenn sie vom Leben stumpf geworden sein mögen, ich würde sie überall erkennen. Auch Clara und Dennis haben beide diese Farbe, und das Leuchten darin geerbt.

Vor ein paar Jahren hatte ich noch Angst vor dieser potentiell möglichen Begegnung gehabt, aber inzwischen nicht mehr. Seit die Kinder da sind, bräche es mir wahrscheinlich sogar das Herz ihn zu sehen. Erst die Tochter zu verlieren (auch wenn man selbst daran schuld war) genügt schon um daran zu zerbrechen, aber gar nicht erst zu erfahren, dass man Großvater geworden ist? Da versagt mir die Vorstellung. Man könnte es ihm vielleicht sogar ansehen, ob er seiner Tochter inzwischen vergeben hat. Ich kann es mir nicht anders vorstellen.

Irgendwann muss man doch Frieden mit sich selbst schließen, oder man kann nicht weiterleben. Als Arzt wäre es ihm ein leichtes den Notausgang zu nehmen, und er würde sich dabei bestimmt nicht so stümperhaft anstellen, wie ich mit 15. Aber wer tagtäglich die Wehwehchen von Menschen flickt und dabei immer wieder auch in besorgte Elterngesichter blickt, die ihn einen Gips oder Wundverband später dankbar anlächeln – das macht etwas mit einem. Jedenfalls geht es mir so. Wie viele Stiche hat die Wunde in seinem Herzen gebraucht? Ist sie jemals verheilt? Ich bezweifle es. Sie wird nach außen durchscheinen, ohne jeden Zweifel. Ich würde ihn mit geschlossenen Augen erkennen, weil mein Herz eine ähnliche Wunde trägt. Zugefügt haben wir sie uns beide selbst, mit unserer Eifersucht.

So erkläre ich mir jedenfalls meine Wunde. Natürlich wollte ich auch, dass Daniel glücklich wird, aber warum ausgerechnet mit ihr? Die Frage ist natürlich unfair, weil umgekehrt hätte ich mich ja auch in jemand anderen verlieben können. Nadine hat auch an meiner Schulter gelehnt und geweint, aber sie nie so zärtlich berührt, dass ich es nicht einmal gemerkt hätte, wie du. Euch miteinander so glücklich gesehen zu haben, tat gleichzeitig gut wie weh, und meine Liebe lief ins Leere.

Ein Vater liebt seine Tochter sicher anders, als ich, und ich hätte damals nicht den Mut (oder die Dummheit) gehabt, den Daniel bewiesen hat, aber verdammt, Daniel, warum sie? Warum ausgerechnet sie? Ich habe dein Glück gesehen, aber hast du meinen Schmerz überhaupt bemerkt? Wie sehr es mich zerriß? Du hast es nicht gesehen, nicht sehen wollen, bis heute nicht.

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