10. Oktober 2019 – Nachtschicht

Nein, wir waren die Dummen, und Schwester Anita wollte es nie wahr haben. Also bis gestern. Von ihr hieß es immer, die Muslime ja, die sein schlimm – aber doch nicht die Juden, gegen die hätte doch niemand was! Ja, von wegen, egal mit welchen Minderheiten es beginnt, die Juden stehen immer nur weiter unten auf der Liste.

Wie schön wäre es, wenn jetzt alle Deutschen aufwachen würden. Werden sie aber natürlich nicht. Ich sehe es aber mit einem Hauch von Genugtuung, dass die Erkenntnis heute endlich bei Schwester Anita angekommen ist.

Ich bin nur noch müde und erschöpft. Das habe ich damals besser weg gesteckt. Wobei ich nach dem Gespräch mit Anton Rothe auch keine Kraft mehr hatte Lukas zu wecken. Aber eine Nachricht konnte ich ihm unter den Scheibenwischer klemmen, die ich dick mit Edding auf ein Stück Papier geschrieben hatte: „Nadine reist HEUTE ab! Kommt schnell. Ich versuche sie aufzuhalten. J.“ Nicht sehr geistreich, aber mehr war mir vor dem Weg zur Fischerzeile nicht eingefallen, und ich wollte ihn nicht wecken. Dann hätte ich mir den Zettel ja auch sparen können.

Aber Lukas im Schlaf zu stören, war die dümmste Idee, die man überhaupt nur haben konnte. Das war die Garantie dafür, dass er nichts von dem behielt, was man in der darauffolgenden Stunde zu ihm sagte, oder um ihn herum geschah. Er musste schon von selbst wach werden, selbst wenn das hieß, dass er sich verspätete.

Worauf ich nicht vorbereitet war, war Lukas in einen Schlafsack gewickelt auf der Rückbank von Monika vorzufinden. So würden er mit der Sonne wach werden, damit er sich in der Schule um Daniel kümmern könnte. Er hatte an alles gedacht, und seine eigene Schwachstelle klug überbrückt. Den Zettel würde er also genau rechtzeitig zu sehen kriegen.

Und so schleppte ich mich nach Hause ins Bett und schlief wie ein Stein.

Genau wie jetzt gleich. Übergabe, und ab nach Hause.

© Jens Prausnitz 2022

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