08. Oktober 2019 – Nachtschicht

Nadine und Daniel rannten mich vor dem Zelt beinahe über den Haufen und an mir vorbei hinein. Kurz darauf kam Lukas keuchend vor mir zum Stehen.
„Host du die beiden scho gsegn?“
„Sind gerade an mir vorbei ins Zelt. Ich bin mir nicht Mal sicher, ob sie mich gesehen haben.“
„Na, die sengan schon an hoiben Tag nix anders mehr, als sich söiba tiaf in’d Augn.“
„Was ist denn passiert?“
„Wann i des nur wissad“, seufzte Lukas. „I woas nur, dos des ogfanga hod, nachdem mia’d Monika ogmoid hom.“
„Angemalt? In welcher Farbe?“
„Koa Farb, bunt! Und mei Todnkopfring hod’d Nadine mir auf’d Motothaubn gmoid. Schaugt supa aus.“
„Schau ich mir nachher an. Ich trag das noch weg und komm gleich.“
Lukas verschwand ebenfalls im Zelt und ich schleppte die letzte Kiste zu den anderen. Auf dem Rückweg lief ich in Doris und einen Mann an ihrem Arm.
„Hallo Johann, darf ich vorstellen?“, lachte sie und zeigte wieder ihre anbetungswürdigen Grübchen. „Anton, mein Mann.“
Gut, dass ich keine Kiste mehr hielt, denn die wäre mir jetzt auf die Füße gefallen. Die Kinnlade hielt hingegen, aber aus meinem Mund verpuffte nur ein Laut, der weder Vokal noch Konsonant war.
Eine Hand streckte sich mir entgegen, ich ergriff sie und wurde jetzt auch äußerlich durchgeschüttelt. Sie war warm, ein fester Händedruck, und erst jetzt setzte sich in meinem Kopf zusammen, was vorher unvollständig gewesen war, mir aber schon gereicht hatte. „Danke, dass du dich um meine Familie gekümmert hast“, sagte Doris’ Ehemann und sah sich um. „Du weißt nicht zufällig, wo ich Nadine finden kann?“
„Äh, nein“, stammelte ich. „Das heißt doch, jetzt schon, sie ist im Zelt, beim Dixieland.“
“Dixieländ? Ich dachte das wäre drüben bei den Toiletten?“, scherzte Doris und löste mich damit aus meiner Verspannung.
„Das ist unsere Dixie-Wörld, die Dixie-Welt, nicht das Land.“ „Meine ganze Welt in einem Dorf“, sagte Herr Rothe und ging zum Zelt. „Ihr entschuldigt mich, ich will nur eben Nadine überraschen.“ Nicht nur die, wettete ich. Und bis hierhin hätte alles noch irgendwie gut ausgehen können, doch dann wurde ich leichenblaß. „Geht’s dir nicht gut“, fragte Doris. „Du siehst aus, als hättest du ein Gespenst gesehen.“
Ich schüttelte den Kopf, wandte mich zum Zelt und flüsterte „Keinen Geist, sondern…“
„Johann!“, rief der vermaledeite Speck die Musik übertönend, und sogar Doris zuckte zusammen. „Wo steckt mein Nichtsnutz von Sohn?“
„Guten Abend Herr Speck“, lächelte ich angestrengt. „Sie hier?“
Und wie auf Kommando trat Herr Rothe mit Nadine und Daniel aus dem Zelt. Daniel blieb wie angewurzelt stehen, als er seinen Vater erblickte, und erst so fiel auf, dass er Nadine’s Hand hielt, die ihren anderen Arm um die Hüfte ihres Vaters geschwungen hatte. Dem dummen Speck entging dieses Detail natürlich und er blaffte seinen Sohn in gewohnter Manier an.
„Na jetzt wird mir einiges klar!“, posaunte er und kam mit den Armen fuchtelnd näher.
„Es ist nicht das, wonach es aussieht“, sagte Daniel und hob abwehrend seine blau-grüne Hand. Es war, als würde er die Farbe erst jetzt bemerken.
„Sie sollten erstmal das Auto sehen“, versuchte ich von Daniel ablenkend einzuwerfen, weil ich ahnte was kam. Aber zu den aus dem Zelt dringenden Dixieland-Klängen konnte man einfach keinen gesprochenen Satz mehr ernst nehmen. Die Musik machte die gruselige Diskussion nur noch absurder, als sie ohnehin schon war, zu einem Cartoon oder eher einer Knoff-hoff-Show aus der Hölle, bei der man sich aber nicht mal traute den dargebotenen Käse auch noch zu beklatschen.

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