25. September 2019 – Nachtschicht

Wusste ich’s doch! Lukas hat auf meine E-Mail wegen ASMR geantwortet. Genau das wär’s gewesen, und dass ich mich daran noch erinnert hätte. Ob ich es denn jetzt auch spüren würde, dieses Prickeln. Ehrlich gesagt weiß ich es gar nicht, weil ich immer noch vorher eingeschlafen bin. Aber was ich sehr mag ist wenn mit Papier geknistert wird. So wie dicke Wochenzeitungen, die geknickt werden, das Streichen von Händen über dünnes Papier – da habe ich ein paar Videos entdeckt und ihm geschickt. Er mir auch. Da streicht einer mit Holzwürfeln über andere Holzoberflächen, tippt sie damit an, reibt sie an etwas… Tolle, streichende Geräusche, als würde einem jemand durch die Haare streicheln. Ob sich deswegen Mädchen so gerne gegenseitig ihre langen Haare kämmen? Nun ja, theoretisch hätten wir Metalfans das ja auch jederzeit machen können. Zum Beispiel während der Umbaupausen auf Konzerten, wo man eh nichts besseres zu tun hatte… und es wäre mal eine echte Abwechslung zum Bier holen gewesen.

Am späten Nachmittag suchte ich noch einmal Doris’ Nähe, weil ich annahm, dass sie sich Sorgen um Nadine machte, die noch nicht zurückgekehrt war. Außerdem wollte ich mit meiner Sorge um alle drei nicht allein sein. Lukas ist nie länger hinter dem Steuer gesessen, als für ein paar Runden mit dem VW-Bus seines Bruders auf dem Parkplatz, bis ihm schlecht wurde. Und hatte ein Trabi überhaupt so etwas wie eine Knautschzone? Ich hatte noch ein paar Minuten, ehe ich zur Ausgabe des Abendessens eingeteilt war, und fand sie zwischen dem Gemeindehaus und dem Pfarrhaus auf der Wiese im Schatten sitzend, gegenüber vom Spielmobil, vor dem einige Kinder herumtollten.
„Ist hier noch frei?“, fragte ich und deutete auf den Platz neben ihr.
Doris sah zu mir auf. „Sieh an, mein erster Nichtsozialistischer Freund.“
Zögernd setzte ich mich.
„Was führt dich zu mir? Ist etwa mein Mann aufgetaucht?“
Ich schüttelte den Kopf. „Das scheint dich nicht zu überraschen.“
Sie wich mir aus und wechselte das Thema. „Du siehst erschöpft aus.“
„Bin ich auch. Hab gerade einen Schwung Windeln vom Gemeindehaus zur Dreifachturnhalle geschleppt.“
„Weißt du Johann“, setzte sie ihre Wut nicht länger beherrschend an.
„Das ist so typisch für meinen Mann. Seine Patienten kommen immer zuerst. War klar, dass er noch nicht mal richtig im Westen angekommen ist, und dann auf einer Autobahn in Österreich den Rettungssanitäter geben muss.“
„Verkehrsunfall?“
Doris winkte ab. „Unser Auto hatte einen Platten. Dann haben hilfsbereite Österreicher angehalten und geholfen uns auf die Seite zu schieben, von denen hat dann einer einen Herzkasper gekriegt.“
„Oha.“
„Dann meinte mein Göttergatte, ich solle mit Nadine bei anderen mitfahren, er käme nach. Er hat nicht mal eine Antwort abgewartet, sondern einen Wartburg herbei gewunken. Wir würden uns gleich wieder hinter der Grenze finden. Das klang ja einigermaßen logisch, aber dort angekommen hieß es dann, es gäbe nicht ein, sondern drei Lager. Einfach klasse.“

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