Gestern kam echt noch ein Patient rein, zwischen Schlüsselrunde und Übergabe. Gibt so Tage.
Aber nun dazu, wie Daniel sich in Nadine verliebt hat. Oder besser, wie er ihr begegnet ist, und sie beide es mir mehr oder weniger übereinstimmend erzählt haben.
Daniel hatte im Vergleich zu mir schon mal das Glück gehabt nicht bei vollem Bewusstsein gewesen zu sein, denn er ärgerte sich, dass sie ihn geweckt hatte. Sprichwörtlich. Geweckt hat sich uns ja alle, aber Daniel eben als erstes, weil sie ihn für mich hielt, für einen Helfer im Lager. Das ist wohl die traurige Ironie daran, dass ich es hätte sein sollen, zu dem sie auf dem Weg war. Wenn ich nicht zu Hause geschlafen hätte, sondern im Lager, wie die Nacht davor. Wenn es nur umgekehrt gewesen wäre, dann…
Aber weiter im Text. Dieser Helfer lag jedenfalls nur so da. (Das hätte ich auch gekonnt.) Auf einer Bank, wo längst ein anderer sitzen sollte. Sechs plus ‚x‘ eben, ganz wie es Uwe gesagt hatte. Es dauerte sechs Stunden und ein bisschen mehr, bis das Lager voll einsatzbereit ist, wir waren noch bei sechs minus und Nadine war natürlich schneller gewesen. Sie war immer in allem schneller. So lernten sie sich kennen, Nadine mit dem gelben Laufzettel in der Hand, Daniel mit einem Kater im Kopf.
Nadine brauchte nur einen Stempel, das konnte Daniel aber nicht wissen, dabei saß er zufällig davor. Als er Nadine sah war das wohl wie in Schneewittchen, nur das nicht der Prinz der schlafenden Prinzessin einen Kuss gab, der sie aufweckte, sondern die Prinzessin hielt dem Prinzen die Nase zu. Gut, Daniel hatte jetzt keinen vergifteten Apfel gegessen, höchstens etwas vergorenes, Bier um genau zu sein. Ein Schuss Dornröschen war auch noch dabei, denn nach hundert Jahren Schlaf hat sich die Prinzessin wahrscheinlich erstmal die Zähne putzen wollen, so wie Daniel nur schnell unter eine Dusche wollte.
Nadine hielt ihm den ausgefüllten Zettel unter die Nase und wollte weiter, und Daniel ihre Telefonnummer. Es würde mich nicht wundern, wenn er sie danach gefragt hätte. Dann fiel ihm wahrscheinlich ein, dass sie dort ja jetzt gar nicht mehr wohnte und es ewig klingeln würde. So wie leider immer noch in seinem Kopf. Er nahm ihren Zettel, genau wie ich wenig später und las: Nadine Rothe.