28. September 2019 – Nachtschicht

„Wieso acht Augen?“, fragte ich sie. „Wie soll ich das denn anstellen?“
Nadine lachte. „Dir wird schon was einfallen. Sie sind jetzt sowieso damit beschäftigt sich aus den Matten eine Burg zu bauen.“ An Lukas und Daniel gerichtet sagte sie. „Wollen wir dann los?“
Alles, was ich noch tun konnte, bevor sie wieder mit Monika verschwanden, war Daniel kurz beiseite zu nehmen, als Nadine mit Lukas schon losgelaufen waren.
„Was denn?“, fragte er überrascht, als hätte er meine Anwesenheit erst jetzt wieder bemerkt.
„Denk nicht so viel darüber nach, was du sagen willst. Tu was. Du hast vielleicht nicht viel Zeit, auch wenn es dir so vor kommt.“
„Ok. Ich muss dann – -“
„Daniel!“ Ich hielt ihn fest. „Hier soll niemand länger als zwei, höchstens drei Tage bleiben, und danach sieht es auch aus, verstehst du? Das ist ein Durchgangslager.“
„Aber ihr Vater…“
„Der kann doch schon im nächsten Bus hierher sitzen, oder von woanders nach seiner Familie schicken lassen.“
Daniel schluckte, nickte und lief den anderen zögerlich hinterher. Er drehte sich noch einmal zu mir um und lächelte so glücklich, wie ich ihn mindestens seit einem Jahr nicht gesehen hatte. Dann war er weg und ich blieb mit meinen fehlenden Tentakeln und sechs Augen vermissend zurück. Ein Insekt, dem man die Flügel ausgerissen hat, ein angefahrenes Tier im Straßengraben, das leise verblutet.

Gerettet hat mich eins der Kinder aus dem Spielzelt. Das stand betreten vor mir, als ich zu einem Häufchen Elend zusammengesunken da saß, völlig leer, wie eine Basstrommel mit einem viel zu großen Loch im Fell, wo einmal das Herz gewesen war.
„Bist du der, der hinter dem Zelt gesessen hat?“
Ich nickte.
„Die Burg ist jetzt fertig“, sagte es. Wegen meiner Tränen konnte ich nicht mal sehen, ob es ein Junge oder ein Mädchen war. „Hm.“
Das Kind scharrte hörbar mit einem Fuss über den Asphalt. „Magst du sie mal sehen?“
Wollte ich ehrlich gesagt nicht. Ich wollte so viele Dinge, so viele widersprüchliche Dinge gleichzeitig! Mit meinen Freunden mitfahren, dabei sein wie die drei Spaß haben, mit Nadine allein unter den Sternen liegen, mit ihr im Arm wie gestern, schweigen, rauchen, lieben. Stattdessen sagte ich blinzelnd: „Kinderbein, ich rieche warmes Kinderbein – mein Leibgericht!“
Kreischend lief das Kind weg.
„Mit euren Knochen repariere ich dann mein Raumschiff, und komme vielleicht endlich von hier weg“, murmelte ich versuchsweise, entschied mich dann aber dafür, das doch besser für mich zu behalten.

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