Lukas war älter als wir, weil er früh einmal sitzen geblieben, und damit bei Daniel und mir in der Klasse gelandet war. Nach seiner Zeit vor dem Gymnasium habe ich ihn nie gefragt, das kann ich ja nachholen, wenn ich bei ihm bin. Ich weiß ja sowieso nicht, wie wir die ganze Zeit totschlagen sollen. Oder soll ich ihm etwa den ganzen Scheiß erzählen, den ich hier die letzten Wochen aufgeschrieben habe? Eben.
Den Geburtstag haben wir gefeiert, indem wir Monika gepflegt haben. Also beinahe. Wir standen schon mit warmen Wasser im Eimer, Lappen und Schwamm davor, als bei Lukas ein Sinneswandel einsetzte.
„Du, mia kennan des ned mocha.“ „Wieso denn nicht?“
„Wenga der Nadine.“
„Ich versteh nicht – -“
„Da herin is ois, wos er no vo ihrer hod. Wo’s gsessn hod und ois, vielleicht no a Haar hier und da. Mei, mia kennan uns jetzt goa nimma eine setzn.“
„Und wenn wir uns drauf setzen? Also zum putzen.“
„Des gangad.“
Also kletterten wir vorsichtig auf das Auto und putzen es gründlich von außen. Vorsichtig, damit sich nichts von der Farbe löste, mit der sie es verziert hatten. Wahrscheinlich gab sie der Rennsemmel sogar zusätzliche Stabilität, hielt sie von außen zusammen wie ein Exoskelett. Als wir damit fertig waren, zogen wir die Schuhe aus und stiegen in Socken auf das saubere Dach.
„Mir Deppen san’s ganze Wochenend umanand gfahrn, damit ist jetzt Schluss, bis Daniel wieder bei der Nadine is. Des schwör i.“
„Ich auch.“
Wir müssen ein trauriges Bild abgegeben haben, da auf dem Dach des frisch geputzten Autos sitzend, dessen Inneres zum Museum für unseren Freund geworden war. Dieser Innenraum, diese nicht mal zwei Kubikmeter Luft waren alles, was uns noch von Nadine geblieben war, und das mussten wir unserem Freund zuliebe rationieren, für ihn aufbewahren.
Am nächsten Wochenende musste Lukas die Stellung in Vilshofen alleine halten, denn wir Helfer waren nach Bonn eingeladen worden um offiziell geehrt zu werden, mit Urkunde und allem Pipapo. Das fand im Rahmen des Bürgerfestes zu 40 Jahren Bundesrepublik statt. Im Sinne von in letzter Minute noch mit drangeklatscht. Dort angekommen ließ man uns nämlich im Regen stehen, und anstelle von Applaus gab es klatschnasse Hosenbeine. Kohl war krank, und hat wohl im Delirium die Bierpreise auf dem Fest gesenkt (immerhin), Genscher war auf dem Weg zur Uno, und damit wohl niemand mehr da, der uns die Urkunden überreichen sollte. Ich hab vergessen, wer’s am Ende gewesen ist. Irgendein Staatssekretär, oder es hat einer der Künstler von der Bühne nebenan für nen extra Fuffi bar auf die Hand gemacht, ist mir auch egal. Mir war kalt, das Bier zu herb und einfach alles ziemlich daneben. Aus Bonn brachte ich eine feuchte Urkunde, einen Schnupfen und die Gewissheit mit, dass der hohen Politik völlig am Arsch vorbei ging, wie ihrer ehrenamtlich vor Ort gerettet wurde. Das sind so Lektionen, die man nie vergisst.
© Jens Prausnitz 2022