26. Oktober 2019 – Nachtschicht

Geiger hatte eine ähnliche Technik: er wechselte ansatzlos vom Schreien zum Flüstern, und umgekehrt, dass man stets einem Herzinfarkt nahe war. Aber Goldhammer genoß es sich jede Gruppe einzeln vorknöpfen zu können, ohne dass jemand auch nur einen Mucks machte. Die Klassenzimmer waren kleiner, er war uns näher, konnte jeden einzeln herauspicken, Augenkontakt herstellen und nach Schuldeingeständnissen fahnden. Wahrscheinlich hatte er sogar ein Notizbuch für jede Klasse, um seinen Vortrag auf die Verdächtigen darin zuschneiden zu können. Er hatte ein Auge für die zukünftigen Verbrecher, wusste, wer es mal zu was bringen würde, und wer nicht. So sah er uns an. Goldhammer sortierte uns nach Gruppen, ob wir überhaupt ans Gymnasium gehörten, in eine Besserungsanstalt, oder besser gleich ins Gefängnis. Bei uns dreien war er längst sicher. Er sah uns an der Nasenspitze an, ob wir jemals Regeln übertreten hatten, oder nicht. Und wenn nicht, ging er erstmal vom Schlimmsten aus, war grundsätzlich von uns enttäuscht, unterstellte uns mangelnde Reife.

Sein Aufhänger war natürlich die Brandstiftung auf dem Sportplatz. Über das Wochenende muss ihm aufgegangen sein, dass das ein Glücksfall für ihn war, denn selten konnte er uns schon so früh nach dem Schulanfang disziplinieren. Das kam ihm derart gelegen, dass er das Feuer inzwischen wahrscheinlich selbst gelegt hätte, wenn es ihm nicht in den Schoss gefallen wäre. Obendrein war er der Held, der es gelöscht hatte, unter Einsatz seines Lebens. Schneller als die Feuerwehr.

„Der oder die Brandstifter dieses Anschlags fliegen von der Schule und werden anschließend den Behörden übergeben. Wer nähere Informationen darüber hat, die Täter beobachten konnte und das dem Direktorat noch länger verschweigt, macht sich mitschuldig. Das ist jetzt eure letzte Chance, um mit einer milden Strafe davon zu kommen. Jede weitere Verzögerung hat entsprechende Konsequenzen zur Folge.“ In der viel zu langen Kunstpause sah er uns der Reihe nach an, die Mädchen zuerst. „Ihr habt noch 30 Sekunden Zeit.“

Niemand rührte sich, oder wagte auch nur hörbar zu atmen. Es hatte ja auch niemand etwas beobachtet, aber das glaubte er uns nicht, und ich glaube die ersten unter uns begannen bereits an ihrer Unschuld zu zweifeln. Goldhammer sprach mit solcher Überzeugung von unserer Schuld, als verfüge er längst über entsprechende Beweise. Hielt er sich etwa für Hercule Poirot? Nein, der war viel zu sehr Genussmensch. Nach sehr präzisen zehn Sekunden, die ich innerlich mitgeklopft hatte, nickte er kurz. „Wie ihr wollt. Ich hätte einige von euch für vernünftiger gehalten.“

Da. Schon wieder ein Vorwurf. Nichts beobachtet zu haben und niemanden denunzieren zu können, nicht einmal sich selbst, war offenbar schon verkehrt. Damit waren wir alle in seinen Augen überführt, schuldig und seiner Schule unwürdig. Bei Lukas machte es leise kling, und ich muss gestehen, das half sogar mir durch diese Tortur.

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