Aber es stimmt schon, ich habe lange gebraucht um über sie hinweg zu kommen, und jetzt bin ich es vielleicht auch zum zweiten Mal. Ich kann ihr ja schlecht übel nehmen, dass sie damals nicht meinetwegen ihren Mann und die Kinder verlassen wollte. Ja, ich war verliebt, und sie genoß es so begehrt zu werden, sich wieder jung zu fühlen, und heute bin ich der Großvat… aaah!! Heute bin ich selbst so alt wie sie damals.
Mit ihr habe ich meinen Anne Bancroft Traum ausgelebt, der mir nicht erst seit Doris durch den Kopf gespukt ist. Wir hatten uns auf der Arbeit kennengelernt, ich weiß noch wie ich sie erst für eine Mutter hielt, die sich versehentlich ins Behandlungszimmer verlaufen hatte, dabei trug sie nur ein Sommerkleid, weil sie gerade nicht im Dienst war. Sie hatte nach Kindern gesehen, genau wie ich es jetzt tue, und eine Infusion vorbereitet. Sie stand da, im Gegenlicht, und es war meine Szene wie aus der Reifeprüfung.
Ich liebte es mit ihr Dienst zu haben, und irgendwann sahen wir uns auch außerhalb der Arbeit und gingen miteinander spazieren. Es war völlig klar, dass die Funken zwischen uns flogen, aber wir behielten lange die Nerven. Es musste ja geheim bleiben, und es war sehr reizvoll so versteckt zu flirten, dass es niemand merkte. Einmal aber saßen wir nach so einem Spaziergang in ihrem Auto und da haben wir einander zum ersten Mal geküsst. Alles fühlte sich richtig an, um nicht zu sagen perfekt. Der nächste Schritt wäre gewesen sich ein Zimmer zu nehmen, aber stattdessen zog sie genau dort den Stecker.
Es war, als hätte ich nur ihre Ehe repariert, weil ich ihr das Gefühl gab noch immer Begehrenswert zu sein, nachdem sie zu früh geheiratet hatte, nachdem sie mit dem ersten Kind schwanger war. Aber das stimmte nicht. Wir verstanden uns prächtig, mit mir konnte sie reden, wie sie es sich von ihrem Ehemann gewünscht hätte. Wahrscheinlich hatte ich mir deswegen Hoffnungen gemacht. Dass ich mit Kindern jeden Alters umgehen konnte, sah sie ja jeden Tag in der Arbeit. Als dann auch mir endlich klar wurde, dass sie ihn nie verlassen würde, hielt ich es nicht lange durch und wechselte die Klinik.
Als sie dann vor zwei Jahren wieder in meinem Leben auftauchte, ging ich ihr aus dem Weg, aus Angst die Wunde könnte wieder aufreißen, dabei war sie eher nie richtig verheilt. Das wusste ich aber erst, als sie wieder vor mir stand.
Ist es mir mit Nadja nicht genauso ergangen? Ich hatte mich in Nadine verguckt, und dann wieder in Nadja, als wäre da kein Bruch gewesen.
Es könnte also doch damit zu tun haben, dass ich einsam bin und mich nach einer Beziehung sehne. Wie so’n wandelnder Kitschroman, wegen denen ich Anita immer aufgezogen habe. Dafür aber immer noch Tina verantwortlich zu machen, ist nicht gerade dufte von mir. Mir war aber auch bis eben noch gar nicht klar, wie sehr mich das verfolgt hat. Ich habe mir ja nicht einmal eingestanden, dass ich rein zufällig immer wusste, wann sie Dienst hat, so dass ich genauso zufällig von meiner Nachtschicht immer etwas früher ging oder später kam, je nachdem. Wahnsinnig subtil von mir.
Das bringt mich gerade so durcheinander, dass ich besser nicht selber koche. Ich hatte schon eine Dose Thunfisch aufgemacht, dabei wollte ich … ich weiß es nicht mehr. „It’s okay to eat fish, ‘cause they don’t have any feelings“ geistert mir durch den Kopf. Na, nix kochen, ich bestell’ mir ne Pizza, da kann man nicht viel mit verkehrt machen.
Ich singe „something on it’s way“ und mache Mhhmm-mmm.
Damit ich hier nicht vor Hunger kollabiere schreibe ich bis die Pizza eintrifft.
Das müsste auch noch im November gewesen sein, als ich und Lukas nach Gammelsdorf gefahren sind, also vor ziemlich genau 30 Jahren! Oh Mann, die Zeit, wie sie davon sprintet… Jedenfalls war Lukas zum ersten Mal überhaupt so weit mit Monika gefahren, seit Daniel und Nadine nicht mit im Auto saßen. Vielleicht lag es an der Delle, dass er sich wieder traute.