Als Daniel und Lukas endlich mit Nadine zurück kamen, da waren ihre Haare noch nass vom Baden. Doch als ich Daniel sah, wusste ich was los war. Nicht wegen dem Pflaster auf seiner Stirn, sondern dem verträumten Blick darunter. Den hatte ich schon ein paar Mal gesehen, diesen ganzen Gesichtsausdruck, wenn er von jemandem hin und weg war. Nur war dieser hier schlimmer, als alle bisherigen zusammen. Nadine lachte, als sich heraus stellte, das wir drei die besten Freunde waren, und meinte, das sei wohl tatsächlich so, dass auf dem Land jeder jeden kenne. Dann zog sie los, um ihrer Mutter zu erzählen, wie sie den Tag verbracht hatte, und Daniel sah ihr auf eine Art und Weise nach, die mir einen Stich ins Herz versetzte.
Lukas hat mir später erzählt, dass sie Nacktbaden waren. Ich dachte, ich höre nicht richtig, denn der See muss doch eiskalt gewesen sein? Lukas bestätigte das, und meinte Nadine hätte auf die Bemerkung nur prustend entgegnet, dass die Ostsee kälter sei, sie sollten sich mal nicht so haben. Nadine fing dann an sich auszuziehen, und na ja, dann hätten sie nachgezogen, also eigentlich nur er, weil Daniel am Ufer geblieben war, um Feuer zu machen. Damit sie ihre Klamotten trocknen könnten.
„Habt ihr euch etwa erst im Wasser ausgezogen?“, wollte ich wissen.
„Na des hob i eam a gsogd“, seufzte Lukas. „Und dann hod er gfrogd, ob i an Benzinkanister hät.“
„Wieso das denn?“
Lukas erklärte, dass Daniel wohl das Feuer nicht gleich zum Laufen gebrach hatte, und deshalb nachhelfen wollte, um nicht wie ein Idiot dazustehen.
„Ja und wieso hat er jetzt das Pflaster?“
„Ach des. Da is eam der Kofferaumdeckl aufsprunga, als er den Kanister wieder nei stelln woid, und’ Nadin’ grad nackert ausm Wossa kemma is“, ergänzte Lukas. „Aber’d Nadin’ hod eam glei verarztet, weil ihr Bappa is ja a Oarzt.“
„Und, habt ihr ihn gefunden?“
„Na, leider ned. Mia probiern’s glei morgn in der fria no amoi.“ Dann fuhren die beiden zum Tanken, und anschließend brachte Lukas Daniel nach Hause, wo ihn ein Donnerwetter erwartete, denn es war schon nach der Tagesschau. Obendrein würde er sie noch wegen des ersten Schultages anlügen, denn er ja geschwänzt hatte. Zu seinem Glück oder Unglück waren sie noch genügend von Lukas’ Gefährt abgelenkt, das ihnen natürlich nicht entgangen war.
So blieb ich endlich allein mit Nadine auf dem Parkplatz zurück. Allein unter ein paar Hundert anderen, die ich aber nicht mehr sah, sobald sie da war. Denn der Zustrom ebbte nicht ab. Es war wie Hochwasser, das es ausnahmsweise mal donauaufwärts zu uns spülte, das sich hier staute und nicht in Passau. In dem organisierten Chaos war Nadine mein Fixstern geworden, wie der Parkplatz selbst für mein Leben. Das würde Nadine glaube ich gefallen, und Nadja auch. Sie hatte drüben genauso auf ihren Vater gewartet, wie ich hier auf meinen, und keiner von beiden kam. Dafür besuchte uns hier der bayrische Landesvater, was nur ein schwacher Trost war. Und weg war er ja auch schon wieder. Abwesende Väter, wohin man auch blickt.
© Jens Prausnitz 2022