Auf dem Weg zur Arbeit fing ich an zu überlegen, dass es doch gar keine so gute Idee sei, nach Vilshofen zu fahren. Das ist ganz bestimmt ein Fehler. Was will ich denn da? Außerdem hatte ich noch keine Idee für ein Geschenk für Lukas oder Sandra. Überhaupt Sandra, ist die dann nicht auch mit dabei? Wahrscheinlich schon. Was bringe ich der denn mit? Ich bin immerhin über Weihnachten bei ihnen, das geht nicht ohne Mitbringsel. Verdammt, ich weiß noch nicht mal, ob die schon zusammengezogen sind. Womöglich plant Lukas für Weihnachten jetzt Umzug und Renovierungsarbeiten, wenn ich schon mal da bin. Verdient hätte ich es. Worauf lasse ich mich da nur ein?
Die pinken Blüten machen mich fertig. Ob ich sie heimlich einfach abreiße? Wenn Tagschicht wäre, könnte das klappen, aber wenn wir hier nur zu zweit auf Station sitzen… so ein Mist. Vielleicht während der Übergabe, oder kurz davor? Das ist noch kein Plan. Ich dreh den Pot wenigstens von mir weg, so dass ich die Blüten nicht sehe, wenn ich beim Schreiben mal hoch gucke.
Wo war ich? Ah ja: Als ich mit der Essensausgabe fertig war, hörte ich Lukas nach mir pfeifen. Er hatte Daniel kurz in der Obhut vom Geistler gelassen, um sich von mir meine Wohnungsschlüssel zu holen. Da wusste ich schon in etwa was das bedeutete. Daniel musste wieder hergerichtet werden. Denn wenn nicht, dann kriegte er Zuhaue [!sic] Ärger. Daher war uns die nötige Prozedur, um das abzuwenden längst zur Routine geworden, und Mama hatte nichts dagegen. Wenn wir also mal wieder aus einer verrauchten Disco nach Hause kamen, oder ein T-Shirt vollgekotzt war – nicht unbedingt von uns selbst, aber auch das kam vor -, dann duschte er sich bei uns und zog sich frische Klamotten an. Da Daniel und ich in etwa gleich groß waren, und wir in unserer Freizeit ohnehin meist Jeans und Bandshirts trugen, die unsere Eltern nicht voneinander unterscheiden konnten, fiel das nie weiter auf. Beim nächsten Mal nahm Daniel dann meistens wieder seine eigenen Klamotten mit, die wir in der Zwischenzeit mit unseren gewaschen hatten, und alles war gut. Meine und Daniel’s Garderobe hatten sich in den letzten zwei Jahren derart durchmischt, das wir längst vergessen hatten, wem ursprünglich was gehörte. Wie bei Brüdern.
Auf meine Frage, was passiert sei schüttelte Lukas nur den Kopf. Im Gehen bat er mich noch, ob der Notarzt im Lager sehr beschäftigt sei, und dann platzte mir fast der Kragen.
„Was ist passiert, Lukas?“
„Des glaubst ma ned, wann i dias doch sog.“
„Die Kurzfassung bitte. Jetzt sofort“, bestand ich.
Lukas seufzte. „Se san mim Zug weg und Daniel is hinterher glaffa und in’d Vuis gsprunga.“