„Hast du denn schon einen Text fertig bekommen? Clara hat mir von deinem Notizbuch erzählt.“
„Scheiße, hab ich etwa was in der Richtung gesagt?“
„Yep.“
„Sagen wir mal, ich spiele mit Gedanken. Aber das sind mehr Splitter als richtige Bilder. Ich wünschte, ich könnte das wie Neil.“ „Nein“, widersprach er. „Mach es wie du. Neil ist Neil, und Johann ist – -“
„Smörrebröd!“
„Smörrebröd, römm pömm pömm pömm“, sang Daniel mit quäkender Stimme.
„Du klingst ja sogar wie Willy“, lobte ich.
„Gekonnt ist gekonnt.“
„Sag mal, was hältst du eigentlich von diesem ASMR Zeug? Also der Toningenieur in dir?“
„Ach, dass die Kinder nicht mehr auf die Worte, sondern nur noch die Zwischentöne hören gefällt mir sogar“, sagte Daniel. „Erst dachte ich noch, warum hören die denn keine Musik? Aber dann dämmerte mir, dass das ja unser Ding war. Der Lärm. Wir haben unseren Schmerz übertönt, die Wut heraus gelassen, bis uns die Ohren gepfiffen haben. Bei ihnen ist es jetzt eher andersherum: Sie hören in sich hinein, und kommen da zur Ruhe.“
„Immer anders, als die Eltern, nicht wahr? Aber sag mal, kannst du mir mal das mit der binauralen Mikrofonie erklären?“
„Ach, die Kisten, an denen seitlich Ohrmuscheln aus Silikon hängen? Der Grundgedanke ist einfach die Tonaufnahme so zu reproduzieren, wie wir sie selbst erleben, und die Membranen der Mikrofone dort zu positionieren, wo die Trommelfelle sind.“
„Und ist da was dran?“, wollte ich wissen.
Daniel seufzte. „Wie lange hast du Zeit? Die Sache ist schon etwas komplexer, aber im Grunde sorgt das tatsächlich für einen außergewöhnlich guten Effekt von Räumlichkeit, also Stereo- Wahrnehmung.“
„Ach, jetzt fällt bei mir der Groschen! Bi und aural…“
„Heißt nicht viel mehr als Stereo, ja. Das ist Marketing. Inzwischen hat sich zum Glück ein viel weiteres Spektrum an guter Mikrofonie etabliert, und allein daran könnten sich inzwischen manche Profis noch ein Vorbild nehmen. Leise Geräusche so klar und dabei rauschfrei aufzunehmen ist echt ne Kunst. Zum Beispiel wenn du – -“
„Daniel“, mahnte ich. „Bitte.“
„Was? Ach so. Warum fragst du dann?“
„Mir ging es eigentlich mehr um diese Schachteln. Wobei da auch welche ganze Köpfe haben. Das ist wahrscheinlich auch einfacher, wenn sie einem die Ohren zuhalten. Schon irre, wie echt sich das anhört.“
„Die meisten gehen schon richtig gut mit ihrem Equipment um, jedenfalls die, bei denen wirklich die akustischen Reize im Vordergrund steht, und nicht visuelle rund um das Dekolleté dahinter.“
„Ach, das verbessert gar nicht den Höreindruck?“
„Als Schallisolation vielleicht, aber da gäbe es bessere Methoden.“
Wir sprachen dann noch ein bisschen über Musik, welchen Platten er aufnahm, und was er gerade hörte. Die „Fear Inoculum“ von Tool sei prima, wenn man einfach den Hype im Vorfeld drum subtrahiere. Deswegen hatte ich im Sommer noch einen Bogen darum gemacht. Aber wenn Daniel das sagte, dann würde ich dem doch eine Chance geben.
Zuletzt gestand er mir, dass er damit begonnen habe Fahrrad zu fahren. Nicht in Berlin selbst, aber im Umland, wenn er mit der S-Bahn ein bisschen raus fuhr. Fast wie Talmüller, wollte ich beinahe sagen, aber dessen war er sich auch ohne meine Mithilfe bewusst. Keinen Scheiß reden, Johann.
Damit hat er sich also längst sein eigenes Stück Vilshofen nach Berlin geholt, aber was war mit mir?
© Jens Prausnitz 2022