Markus war unsere Eintrittskarte in ganz neue Kulturwelten gewesen. Mit ihm erreichten wir zum ersten Mal die fernen Indie- Discos, die für das Fahrrad zu weit weg waren, jede bis zu 40 oder 50km tief in der Pampa versteckt. Discos die zwar auch Namen trugen, aber trotzdem bei allen nur unter ihrem Ortsnamen bekannt waren: Jägerwirth, Bad Griesbach, Büchlberg, Köching, Bad Höhenstadt.
Nach Markus ging Lukas, dann ich, Geistler starb, und von da an war Lukas allein in Vilshofen. Für mich fühlt es sich ein bisschen so an, als hätte er deren Funktion geerbt, als bräuchte jeder Ort einen wie ihn. Einen mit Herz, der dort hingehört und den Laden zusammen hält.
Wahnsinn, an den VW-Bus und Markus habe ich lange nicht mehr gedacht. Eben beim Rauchen ist mir wieder eingefallen, dass der Bus hinten ausgebaut war. Mit einer Sitzbank, die man als Bett ausklappen konnte, sowie einem kleinen Tisch, den man dazu vorher zur Fahrzeugwand einfalten musste. Sicherheitsgurte gab es hinten keine, nur noch zwei Sitze hinter der Fahrerbank. So blieb theoretisch viel Stauraum für Transporte oder gar eine Tour. Der Bus wäre ideal für unsere Instrumente gewesen, aber Markus weigerte sich, egal wie oft wir auf das Thema, zu sprechen kamen. Rein hypothetisch, denn wir hatten ja überhaupt keine Auftritte. Aber in den Discos hätten wir auftreten können, und wenn wir die abklapperten, fühlte sich das schon ein bisschen so an, wie auf Tour zu sein, und wir liebten dieses Leben.
Markus zog uns damit auf, dass er es sich höchstens unter der Bedingung darauf einließe, wenn wir uns auf einen Bandnamen einigten. Weil er ganz genau wusste, dass wir höchstens Kandidaten hatten: Loss of Sight, Blind Alley, Second Sight – immer war irgendwas mit den Augen nicht in Ordnung, ein Vorschlag schlimmer als der andere. Gemeinsam hatten die nur, dass wir offensichtlich keinen Durchblick hatten. Unsere Band habe ich aber auch namenlos zusammen gehalten.
Inzwischen habe ich das Trommeln ganz aufgegeben. Ob ich überhaupt noch einen Rhythmus halten könnte? Wenn sich die beiden wieder verheddern würden, und dann hilfesuchend zu mir gucken, könnte ich sie dann noch immer mit einem Kopfnicken wieder neu einzählen wie früher? Wahrscheinlich eher nicht. Wir haben inzwischen alle wirklich was mit den Augen. Und die fallen mir jetzt endlich zu. Genug für heute.
© Jens Prausnitz 2022