19. September 2019

Während die bayrischen Stämme noch darüber diskutieren, wer oder was denn jetzt bayrischer ist, sind es die Urbayern in ihrem Schatten, mit denen ich immer sofort warm geworden bin. Solche sturen Böcke wie Lukas, charmant-ruppige Urviecher, deren offene Herzlichkeit noch jeden für sich eingenommen hat.

Der Geistler war auch so einer. Unser Metzger, Wirt und Orakel. Natürlich hat uns Lukas zum ersten Mal zu ihm geschleppt. Seine Gaststube zu betreten war wie auf Botschaftsgelände zu kommen, dort herrschten leicht verschrobene Gesetze: seine. Wem das nicht passte, der konnte ja wieder gehen. Wen die Soße vom Schweinsbraten verdächtig an die auf den Pommes erinnerte und das ansprach, obwohl die doch auf einem anderen Teller kamen, konnte zur Strafe damit rechnen, das er ihm ein paar Millimeter weniger Bier zapfte, indem er es mehr schäumen ließ.

Eine Speisekarte suchte man drinnen wie draußen vergeblich, es gab eh immer das Gleiche – deswegen ging man ja dorthin. Erwartete man etwa an einer Currywurstbude Salat? Die Preise kannte man bald auswendig, und die blieben während unserer gesamten Schulzeit gleich, frei von Inflation oder sonstigen Zahlendrehereien. Das einzige Mal, dass er schummelte war, als sich die Journalisten vom Privatfernsehen erdreisteten, eine Quittung von ihm zu verlangen. Denen hat er eins ausgewischt, indem er ihnen heimlich fünfzig Pfennig auf die Rechnung drauf rechnete. Damit hatte sich die Sache für ihn erledigt. Wir mochten seine Art und Rechtsprechung. Da fühlte man sich sofort merkwürdig geborgen, war gerne Gast.

Als er starb, hielt es seine Familie nicht mehr dort. Der Geistler war das einzige funktionierende Beispiel für die Aufhebung der Gewaltenteilung gewesen, und sie starb mit ihm. Alles erinnerte Lukas an die Lücke, die er hinterlassen hatte. Die Wände waren näher gerückt, der Raum kühler, und obwohl das Essen eigentlich noch genauso schmeckte, war trotzdem nichts mehr richtig. Die Gaststube hatte nicht mehr die richtige Ausstrahlung, es war wie in einem Sonnensystem zu sein, dessen Sonne erloschen war. Das warf alle Planeten aus ihren Umlaufbahnen, und alle gingen ihre eigenen Wege. Es ist zwar wieder eine einheimische Metzgereikette dort eingezogen, aber der Verlust war durch nichts zu kompensieren.

Der erste, den Lukas verloren hatte, war sein Bruder gewesen. Der war zwar nicht tot, sondern nur beim Bund, aber ohne seinen VW-Bus fehlte uns die Mitfahrgelegenheit. Markus war meistens allein damit unterwegs gewesen, seinem angeblichen Liebesnest. Dabei steckte mehr Liebe im Auto, als dann tatsächlich darin gemacht wurde. Lukas’ Bruder hatte im Gegensatz zu uns zwar schon viel mit Mädels gehabt, aber eher neben dem Wagen, als darin. Mehr so in auf und unter Schlafsäcken an Lagerfeuern. Also wenn wir seinen Erzählungen glauben schenken durften. Zwar fanden wir einmal einem Slip im hinteren Bereich, aber den hat er dort wohl strategisch für uns platziert (und im Zweifel sogar selbst gekauft), denn wehe einer von uns ließ auch nur mal eine Jacke oder Pulli drin liegen – der Täter kam nicht einmal ganz zur Schiebetür raus.

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