16. November 2019

Seit Talmüller davon erzählt hatte, wie es war nach dem Krieg ein Flüchtling in Vilshofen zu sein, ging es mir nicht aus dem Kopf. Vom sich wieder auf Augenhöhe begegnen, wenn niemand mehr hat, als der andere. Wenn niemand mehr Vorteile genießt, weil er in der Partei ist oder in eine wohlhabendere Familie geboren wurde. Wenn einem stattdessen das Wohlergehen des Huhns vom Nachbarn mehr am Herzen liegt, weil man von den Eiern länger hungrig überlebt, als sich einmal satt zu essen. Die Frage Huhn oder Ei war so eindeutig zu Gunsten der Eier zu beantworten. Wenn man sich die Frage überhaupt stellt, dann geht es einem schon zu gut.

Unsere Flüchtlinge hatten nur ihre vergitterten Legebatterien gegen welche mit bunten Schaufenstern getauscht. Die Sachen hinter dem einbruchssicheren Glas konnten sie sich genauso wenig leisten, wie wir. Im gemachten Nest sitzt immer schon ein anderer. Das Begrüßungsgeld war schnell alle, dann begannen die Sorgen, die Schulden, die Steuern, wieder von vorn. Anstelle von Stasi-Spitzeln halt neidische Nachbarn. Für die Bürokratie war man auch im Westen wieder eine Verwaltungsnummer und kein Mensch aus Fleisch und Blut mehr. Hühner eben. Wollmilcheilegende.

Diese ersten Tage im Flüchtlingslager, es ging so schnell wieder vorbei. Aber man hatte kurz erlebt, dass es auch anders ging. Miteinander, unbürokratisch, menschlich. Was man tat, half anderen, ganz konkret, und das machte… glücklich. Fremden Menschen in Not helfen können macht glücklich. Da spielt es plötzlich keine Rolle mehr, ob man jemanden kennt. Das erwartet man doch auch von einem Arzt oder Beamten, dass jeder gleich gut behandelt wird. Man kann sich doch nicht hinstellen und sagen, „Wenn ein Freund von mir, oder jemand aus meiner Familie ertrinken würde, dann würde ich ihn ja retten.“
In Fremden nur eine Bedrohung zu sehen, schürt nur Hass. Warum sagen sie nicht einfach, dass sie auch Hilfe brauchen? Egal wobei? Niemand muss oder kann heute mit den Problemen der Welt alleine fertig werden. Der einzige Weg ist zusammen etwas zu bewegen. Alles andere ist wir gegen die und endet im Faschismus. Solidarische Gesellschaft oder jeder gegen jeden.

© Jens Prausnitz 2022

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